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Orangentage

Orangentage

Titel: Orangentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iva Procházková
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weg und erhob sich. Er spürte, wie sich ihm alles im Kopf drehte.
    Â»Für mich«, sagte er und blickte Hugo fest in die Augen, um das Karussell in seinem Kopf anzuhalten, »bist du weniger als die Kippe, die du gerade weggeschmissen hast. Für mich existierst du nicht mehr.«
    Â»Und wer hat dir gerade eins auf den Deckel gegeben, wenn ich nicht existiere, du Hohlkopf?«, verlachte Hugo ihn, beide Beine wieder fest auf dem Boden. »Wer wollte es sich denn mit mir liefern? Die Kippe vielleicht?«
    Â»Nur damit du es weißt, heute war das letzte Mal. Von nun an pfeife ich auf dich. Schlag dich, mit wem du willst, lass mich aber aus dem Spiel. Kein Interesse.«
    Â»Aha? Und deine behämmerte Schwester? Pfeifst du auch auf die?«
    Darek sah in das grinsende Gesicht vor sich und überlegte niedergeschlagen, wie es weitergehen sollte. Es gab keinen Ausweg. Über Ema hatte Hugo ihn in der Hand. Er konnte mit ihm machen, was er wollte. So wie in einem Pfandspiel. Er konnte Darek jederzeit, wenn es ihm beliebte, zu einer Schlägerei zwingen, das war klar und unausweichlich. Darek verstand nur nicht, welche Gründe Hugo hatte. Was trieb ihn? Hatte er denn nicht selbst die Nase voll? Wäre es nicht besser, sich ein für alle Mal auszusprechen und sich nicht mehr wie kleine Jungs auf dem Boden zu wälzen?
    Â»Mann, Hugo, was ist eigentlich mit dir …«, fing er an. Und plötzlich wusste er es. Aus heiterem Himmel kapierte er: Für Hugo war es noch schwerer, die ganze Angelegenheit aus seiner Erinnerung zu verbannen, als für ihn selbst. Ja, damit erklärte sich alles! Er hatte sich deswegen bestimmt keinen Knoten gemacht, aber konnte trotzdem nicht vergessen. Er war nicht imstande, Darek das eigene schlechte Gewissen zu verzeihen, seine eigene Niederträchtigkeit, den eigenen Mangel an Mut, vielleicht sogar Mutters Großzügigkeit. Der drei Jahre zurückliegende Adventsnachmittag schleppte sich unermüdlich weiter und drohte niemals zu enden. Sie waren dadurch aneinandergekettet. Siamesische Zwillinge, die sich losreißen und sich aus den Augen gehen wollten, es aber ohne fremde Hilfe nicht schafften.
    Â»Ich habe immer alles alleine mit dir geklärt, aber das werde ich nicht mehr«, sagte Darek so ruhig, dass er über sich selbst staunte. Wieso spürte er keine Wut mehr? »Wenn du Ema noch ein Mal anfasst, wenn du sie beschimpfst oder etwas anderes mit ihr anstellst, schicke ich Vater zu dir.«
    Hugo prustete los. »Und was macht der dann mit mir?«
    Â»Das lasse ich ihn entscheiden.« Darek ließ Wasser laufen, beugte sich über das Waschbecken, wusch sein verschwitztes Gesicht und spülte seinen Mund aus, um den eisernen Blutgeschmack loszuwerden, der ihm immer noch am Gaumen haftete. Aus den Augenwinkeln beobachtete er Hugo, denn er hatte keine Lust, sich wieder treten zu lassen. »Ich denke, du kennst ihn gut genug, dass du es dir vorstellen kannst.«
    Hugo amüsierte sich prächtig – er lachte aus voller Brust.
    Â»Da hascht du misch aber zu Tote erschräkt!«, höhnte er wie ein Affe, während er sich kringelig lachte. »Schau, wie isch Angscht hab! Gottschen, isch glaub, isch scheisch misch gleisch an!«
    Â»Mach doch«, forderte Darek ihn auf. »Sei ganz du selbst.«
    Er drehte den Wasserhahn zu und trocknete sich das Gesicht ab. Der Schlag, den er aufs Kinn bekommen hatte, war ordentlich gewesen, sein Kopf wollte nicht aufhören zu dröhnen. Er hatte unwiderstehliche Lust, die Augen zu schließen, traute sich aber nicht, die Kontrolle über das Schlachtfeld zu verlieren. Er sah, wie Hugo zum Fensterbrett zurückging, das Päckchen Zigaretten aufhob, sich eine ansteckte. Er lachte nicht mehr. Er blies den Rauch aus dem Fenster und warf Darek einen Blick voller Abscheu zu.
    Â»Wahrscheinlich kommen dann beide, oder? Dein Alter und der Macker aus Polen. Sie stopfen mich in den Truck und schicken mich mit euren Klappergäulen zum Schlachthof, was? Oder zerteilen sie mich gleich daheim? Machen sie Kabanossi aus mir? Leberkäse? Gulasch? So viele Steaks wie die schwarze Mähre, die du letztens im Bach ertränken wolltest, gebe ich zwar nicht her, aber …«
    Â»Halt die Klappe, du Steak!«, fuhr ihm Darek müde über den Mund und blinzelte ein paarmal, um die Sternchen zu verjagen, die er vor Augen hatte. »Du bist doch nur neidisch!«
    Â»Ich?«

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