Orangentage
Hugo blies Darek den Rauch entgegen. »Da liegst du aber richtig!«
»Also, um was geht es dir dann? Was hast du gegen unsere Pferde? Stört es dich, dass ich reite und du nicht? Wenn du darauf stehst, kannst du gerne â¦Â«
»Ich reite keine Leichen.«
»Was quatschst du da von Leichen?! Blödsinn.«
»Ha, ha, ha«, erwiderte Hugo. Hinter jedem ha machte er eine Pause und blies ein Wölkchen Rauch aus.
»Gut, am Anfang waren es Klappergestelle«, gab Darek zu, »aber wir haben sie aufgepäppelt. Frag Mischa oder ⦠komm ruhig gucken, hindert dich jemand? Jetzt haben wir fünf echt schöne Hengste, drei Stuten, die gut beisammen sind, und der Rest geht auch.«
»Ihr habt einen Dreck«, gab Hugo zurück. Darek hatte ihn nicht beeindruckt. »Wann hast du deine Stuten, die so toll beisammen sind, denn zuletzt gesehen? Wo sind die fünf schönen Hengste denn in diesem Augenblick?« Hugo machte einen Schritt auf Darek zu. Es war keine drohende Geste, seine Augen zeigten eher Mitleid. Als würde ihn Dareks Begriffsstutzigkeit ehrlich quälen. »Zu Hause wartet eine leere Koppel auf dich, du Hohlkopf! Satteln kannst du jetzt höchstens deinen Alten. Denn deine Pferde, die du so wunderbar aufgepäppelt hast, werden gerade irgendwo in Italien von Schlächtern zerteilt.«
»Was laberst du hier?«, schrie Darek. Die Sternchen vor seinen Augen wurden dichter und ihre Bewegung schneller. »Hör auf mit dem ScheiÃ, Hugo!«
Statt zu antworten, leckte Hugo sich Mittel- und Zeigefinger ab und hob sie schweigend zum Schwur. Sein ernster Blick und das regungslose Gesicht beunruhigten Darek mehr als alles andere. Er spürte, wie ihm ein Frösteln über den verschwitzten Rücken lief.
»Du weiÃt nichts über unsere Pferde! Wir haben sie zur Zucht und nicht als Schlachtvieh«, setzte er wieder an, aber lange nicht mehr so sicher wie noch vor einem Augenblick. »Viele von ihnen haben Papiere, sie waren nur bei dummen Leuten, die sie heruntergeritten haben. Jetzt sind sie aber in Ordnung und wir haben sogar schon Käufer für sie gefunden.«
»Schlächter.«
»Hugo, mach die Klappe zu, sonst fängst du dir wieder eine!«, kreischte Darek. Hugos ruhiger Ausdruck rief Panik in ihm hervor, die er überschreien musste. »Keine Schlächter! Antons Kundschaft, die sich mit Pferden auskennt! Wir verkaufen sie, aber ich kann jederzeit vorbeigehen und gucken, wie es ihnen geht! Anton hatâs mir versprochen, er mag Pferde total gern â¦Â«
»Na klar, er ist der groÃe Pferdekumpel«, nickte Hugo, machte die Zigarette aus und warf sie aus dem Fenster. »Wie, denkst du, hat dein Horse Buddy die ganze Kohle gemacht? Er hat zwei LKWs, und Typen wie dein Vater machen die ihm voll mit Fleisch. Leichenverkäufer â anders nennt man ihn bei uns im Sägewerk nicht! Immerwährend pendelt er zwischen Italien, Polen, Litauen und wo auch immer er die halb toten Viecher einsammelt. Zum Schnäppchenpreis kauft er sie, für umme kriegt er sie gefüttert und für einen schönen Batzen verkauft er sie. WeiÃt du, was es ihm einbringt? Und dir bringt es auch was, du hängst doch mit drin, also reg dich nicht auf!«
Er schenkte Darek noch einen spöttischen Blick und steuerte auf die Tür zu.
»Das ist nicht wahr!«, schrie Darek ihm hinterher. Er hätte ihn gerne eingeholt und ihm ins Gesicht geschrien, aber in seinem Kopf drehte sich alles. Er musste sich am Waschbecken festhalten. »Ich hänge nirgends mit drin! Und mein Vater auch nicht!«
Hugo beseitigte den Wischmopp, öffnete die Tür. Bevor er auf den Gang hinaustrat, drehte er sich noch einmal um.
»Klar«, grinste er. »Ihr mögt doch Pferde total gern.«
***
Der Platz in Vidnava war genauso verschlafen wie beim letzten Mal. Schatten legten sich schon auf das Pflaster, die Tische vor der Pizzeria gähnten vor Leere. Eine Gruppe Radfahrer vor einem Orientierungsplan, einige Leute an der Bushaltestelle und zwei sich anbellende Hunde unter Kastanien belebten die ruhige Abendatmosphäre. Darek lieà sich auf dem Denkmalsockel nieder, der immer noch warm von der Sonne war, zog eine Wasserflasche heraus und trank durstig, fast ohne zu schlucken, die Hälfte aus. Er war gehetzt, sein Herz klopfte wild, das T-Shirt klebte ihm am Körper. Er erinnerte sich nicht, wann er zuletzt so
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