Orangentage
schnell gelaufen war. Vielleicht noch nie. Ihm war klar, dass er den Bus kriegen musste â eine andere Möglichkeit existierte nicht für ihn â, und so schaltete er sein Gehirn aus, verdrängte alle Gefühle und konzentrierte die Kraft, die ihm blieb, in seinen Beinen. Sie waren heiÃ, wund, er hatte nach dem abendlichen Spiel nicht einmal andere Schuhe angezogen. Er blieb in den FuÃballschuhen und rannte wie um die Wette. Er rannte wie ein Pferd.
»Und was sollen wir dem Trainer sagen, wenn er dich sucht?«, wollte Lukas wissen, als er sah, dass Darek in aller Eile die Jacke in den Rucksack stopfte und im Begriff war, zu verschwinden.
»Seit dem Abendessen habt ihr mich nicht gesehen«, schlug Darek vor. »Ihr wisst nicht, wo ich hin bin, ihr wisst nicht, wann ich wiederkomme. Ihr wisst nur, dass mir nichts passiert ist.«
»Das klingt unlogisch«, wandte Lukas ein. »Du kennst ihn, er kann leicht die Nerven verlieren.«
»Gut, dann sagt ihm, dass er sich um mich keine Sorgen machen soll, dass ich etwas Privates erledigen musste und dass ich entweder anrufe oder morgen wieder da bin.«
»Und, bist du morgen wieder da?«
Darauf hatte Darek keine Antwort. Es kam auf eine ganze Reihe von Umständen an. Am Anfang dieser Reihe stand Hugo mit seiner ungeheuerlichen Behauptung. Die war so schwachsinnig, so absurd, so vollkommen unglaubwürdig, dass es keinen Sinn machte, sich darüber auch nur einen Augenblick den Kopf zu zerbrechen. Natürlich fütterten sie die Pferde nicht für den Schlachthof! Natürlich hatte sich Hugo alles aus den Fingern gesogen! Er log wie gedruckt. Nichts davon, was er im Waschraum gesagt hatte, stimmte, er hatte keine Ahnung von ihren Pferden. Nicht nur, dass er Hugo, der ScheiÃschlappschwanz war, er war darüber hinaus auch Hugo, der Lügner. Keine Lüge war ihm zu schade, wenn es darum ging, Darek zu zermürben und zu erniedrigen. Man kann ihm nicht glauben, dachte Darek. Nicht einen Buchstaben!
Während der heiÃe Nachmittag verging und es Abend wurde, kam es jedoch in seinem Kopf zu einer seltsamen Veränderung. Hugos Worte spukten immer noch in ihm herum. Es gelang ihm nicht, sie auf dem Sportplatz zu vertreiben, auch verdampften sie nicht mit seinem SchweiÃ, er konnte sie nicht mit der nächsten Dusche herunterspülen. Hugos Worte waren wie Zecken: Sie hatten sich an ihm festgebissen und lieÃen sich nicht abschütteln. Darek blieb nichts anderes übrig, als Simon aufzusuchen.
»Ich muss ins Netz«, verkündete er ohne weitere Erklärung. Er wusste, dass seine Forderung unverschämt klang, aber er war zu keiner höflicheren Formulierung fähig. Zum Glück war Simon niemand, der wegen eines Mangels an Höflichkeit beleidigt gewesen wäre. Er blickte Darek an und gab ihm ohne weitere Fragen sein Laptop.
»Du musst in der Umkleide oder im Essraum bleiben«, sagte er. »Oben im Zimmer hast du eine ganz schlechte Verbindung.«
Darek setzte sich in eine Ecke des Essraums, klickte sich ins Netz und schaute zuallererst nach (vielleicht in der Hoffnung, die tröstliche Unwissenheit noch andauern zu lassen), ob er eine Mail bekommen hatte. Im Posteingang fand er eine zwei Tage alte Nachricht von Mischa, der sich im Gegensatz zu Hanka am Strand von Dubai nicht langweilte, sondern sich die Zeit mit dem iPod verkürzte. Er schrieb, dass er einen Haufen neue Spiele habe, das beste sei Aufstand der Feueraffen, dass er versuchen werde, sie für Darek zu Hause herunterzuladen, um sie auch auf seinem Rechner spielen zu können. Er käme Samstagabend zurück und werde, wenn es nicht zu spät sei, zu den Pferden kommen. Er freue sich schon darauf.
Die zweite Nachricht war aus der Slowakei, wo Ema und Marta schon die zweite Woche verbrachten. Marta teilte in ihrem nüchternen Poststil mit, dass es ihnen in dem Erholungsheim gefalle, dass sie dort gut bekocht würden und ein Zimmer mit Balkon hätten, dass es am Sonntag und Montag geregnet habe, aber nun wieder warm sei. Im Wald hätten sie ein Taschenmesser gefunden. Ema freue sich, dass Darek ihr damit ein neues Boot schnitzen würde. Unter dem Text waren zwei Fotos angehängt. Auf dem einen war Ema in einer Gruppe von Kindern vor dem Heim, auf dem anderen bei einer Schafskoppel. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte sie bestimmt in dem Augenblick gebettelt, eins der weiÃen Schäfchen
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