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Orangentage

Orangentage

Titel: Orangentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iva Procházková
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untergekommen!«
    Ohne nachzudenken, gehe ich mit der Faust auf ihn los. Ich ziele auf sein Kinn ab, am liebsten würde ich ihm die beleidigende Bemerkung zurück in den Mund rammen, doch ich bin zu klein für ihn. Er packt mich am Handgelenk.
    Â»Halt den Ball flach, Junge.« Er grinst mir ins Gesicht.
    Â»Darek, was erlaubst du dir!«, ermahnt Mutter mich entgeistert. »Du wirst dich jetzt sofort …«
    Â»Ich? Was ich mir erlaube?!«, schreie ich und versuche Boris Krassov zu treten. Es gelingt mir nicht, er weicht mir aus. »Und was erlaubt er sich?!«
    In dem Moment erscheint ein anderer Wachmann neben uns. Er packt mich grob an der freien Hand, sodass ich mich umdrehen muss, um dem durchdringenden Schmerz zu entgehen.
    Â»Ende der Show, Kleiner«, zischt er mir ins Ohr. Dann schaut er Mutter an. »Kommen Sie, wir klären das im Büro.«
    Wir gehen, mich führen sie wie einen Verbrecher ab. Ich bin außer mir vor Wut. Alle starren uns an. Ema weint, sie hat nasse Hosenbeine. Mutter streichelt ihr über die Haare, sie hat Hugo in der Aufregung vergessen. Ich nicht. Ich weiß, dass er uns von irgendwoher beobachtet. Er kommt nicht heraus: Hugo, der Scheißschlappschwanz. Eingezwängt von den Wachleuten, beiße ich die Zähne zusammen und halte die Wuttränen zurück. Innerlich töte ich Hugo auf hundert Arten und schwöre, dass ich ihm nie verzeihen werde. Nie!
    ***
    Durch das offene Fenster drängte sich die Nachmittagshitze nun auch in den Waschraum. Nur ein Hecheln und Schnaufen war zu hören. Darek rutschte das Bein weg, er hielt sich aber rechtzeitig am Fensterbrett fest. Er hatte keine Ahnung, wie lange sie sich hier schon prügelten. Zehn Minuten? Eine Viertelstunde? Hugo war mit seinen Kräften am Ende, hielt sich kaum noch auf den Beinen. Darek hatte ihn schon zweimal zu Boden geschickt. Er vermutete, ein drittes Mal würde Hugo nicht aufstehen. Die Verbände und Pflaster hatte er längst verloren, aus den wunden Knien floss Blut, er schnaufte angestrengt. Darek, von der kalten Dusche angeregt, war ein bisschen besser dran. Außerdem hatte er den Vorteil des Überraschungseffekts. Zumindest am Anfang. Als er den Duschvorhang zur Seite geschoben und den Kopf herausgesteckt hatte, erwischte er Hugo unvorbereitet. Faul am Fenster lungernd, zündete dieser sich gerade die zweite Zigarette an.
    Â»Willst du immer noch was in die Fresse?«, rief Darek ihm zu, während er sich in aller Eile den Slip über die nassen Beine zog.
    Hugo zuckte zusammen, drehte sich um und machte große Augen, als hätte er einen Geist gesehen. Doch dann kam er schnell zu sich und nahm freudig die Herausforderung an.
    Â»Ich massakrier dich!« Er warf die glimmende Zigarette ins Waschbecken, sprang zur Tür, sicherte sie mit dem Wischmopp. »Komm, du Arschloch!«
    Auch wenn sie es nicht aussprachen, spürte Darek, dass das heute ein anderer Kampf werden würde als alle anderen zuvor. Es ging ums Ganze. Ihr gegenseitiger Hass hatte seinen Wendepunkt erreicht. Es galt zu entscheiden, wie es weiterging, sie mussten eine neue Richtung für ihre Beziehung bestimmen. Auch eine Feindschaft verbraucht sich. Darek hatte sich schon ein paarmal dabei ertappt, dass ihn Hugos Anwesenheit nicht mehr so störte wie früher. Das kam vor allem durch Hanka (durch sie war er in letzter Zeit immer gut aufgelegt), die Arbeit mit den Pferden hatte ihn aber auch verändert. Wenn er sie unter Kontrolle haben wollte, musste er vor allem sich selbst beherrschen. Er hatte gelernt, geduldig zu sein, sich nicht so leicht provozieren zu lassen.
    Im Bus, auf der Fahrt ins Trainingslager, hatte er Hugo beobachtet, der genau vor ihm saß. Über Ohrstöpsel hörte er irgendeine Musik, wippte dabei im Rhythmus und trommelte mit den Fingern auf die Lehne. Er sah entspannt aus und Darek merkte plötzlich, dass Hugo ihm gleichgültig war. Das war eine schockierende Feststellung. Fast drei Jahre lang war er nicht fähig gewesen, Hugo objektiv zu betrachten. Er hatte eine solche Abneigung gegen ihn gehabt, dass ihm schon sein Anblick körperlichen Schmerz zufügte. Automatisch lief immer der verdorbene Adventssamstag vor seinen Augen ab, die Sicherheitsleute in schwarzen Uniformen, Ema mit ihrer vollgepinkelten Hose, sein verdrehter Arm auf dem Rücken und Hugo – der unsichtbare Hugo –, versteckt irgendwo hinter den Regalen.

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