Orchideenhaus
umarmte ihre Großmutter. »Ja. Ich bin dir dankbar, dass du es mir gesagt hast.«
Kit und Julia sahen Elsie nach, wie sie den Raum verließ.
»Meinst du, ich soll mit ihr nach oben gehen?«, fragte Julia.
Kit schüttelte den Kopf. »Ich habe das Gefühl, dass sie allein sein möchte. Lust auf einen Brandy? Nach der Geschichte könnte ich einen vertragen.«
Julia schüttelte den Kopf. »Nein danke.« Sie setzte sich wieder aufs Sofa, während Kit eine Karaffe aus einem Schränkchen unter den Bücherregalen nahm und sich einen Drink einschenkte.
»Mich würde interessieren, ob deine leibliche Großmutter noch am Leben ist. Wenn Lidia siebzehn war, als Harry sie 1946 kennenlernte, wäre sie jetzt… achtzig? Möglich ist es.« Kit setzte sich neben Julia auf die Couch und legte einen Arm um sie. »Lidia muss Harry wirklich viel bedeutet haben, wenn er bereit war, alles für sie aufzugeben. Nun wissen wir auch, von wem du deine Begabung fürs Klavierspielen geerbt hast: von deinem Großvater Harry.«
Julia lehnte den Kopf an Kits Schulter und dankte Gott, dass sie nur Cousins dritten Grades waren. »Ja, vermutlich.«
»Und die Moral von der Geschicht? Dass die Pflicht über die Liebe siegte. Bin ich froh, dass ich nicht in Harrys Haut stecke! Ich verstehe, warum er glaubte, keine andere Wahl zu haben.«
»Mir tut eher Olivia leid. Obwohl sie Bescheid wusste, hat
sie ihre Gefühle dem Wohl von Wharton Park untergeordnet. Kein Wunder, dass sie verbittert war. Sie blieb ihr ganzes Erwachsenenleben lang ungeliebt und wurde betrogen.«
»Ja.« Kit nahm einen Schluck Brandy. »Ich bedaure nur, dass ich ihr, wenn ich in den Ferien hier war, nicht mehr Beachtung geschenkt habe. Für mich war sie immer eine vertrocknete, sauertöpfische Alte.«
»Nach dem Verlust ihres eigenen Kindes muss es für sie sehr schmerzhaft gewesen sein, meine Mutter in dem Wissen auf dem Anwesen heranwachsen zu sehen, dass sie Harrys Tochter war.«
»Das Leben kann schon traurig sein«, stellte Kit fest und zog Julia näher zu sich heran. »Deshalb muss man jeden Tag nutzen. Sollen wir uns nach all diesen Aufregungen zurückziehen? «
Julia nickte. Sie gingen gemeinsam zur Eingangshalle. Julia setzte sich auf die Stufen, während Kit wie jeden Abend die Lichter ausschaltete und die Türen zusperrte. Als er fertig war, nahm er neben ihr Platz. »Alles in Ordnung, Schatz?«, erkundigte er sich und verschränkte seine Finger mit den ihren.
»Ja.«
»Im einen Moment noch Enkelin eines Gärtners, im nächsten schon die von einem Lord!«, neckte Kit sie. »Aber deines ist kein Einzelschicksal. Ich könnte dir ein halbes Dutzend adlige Familien mit Leichen im Keller nennen. Komm, lass uns schlafen gehen. Morgen wird ein harter Tag.«
Im Bett schlang Kit schützend die Arme um Julia.
»Eins verstehe ich allerdings nicht«, sagte Julia in der Dunkelheit. »Warum sollte Alicia nicht dabei sein, als Elsie die Geschichte erzählte? Schließlich ist es ihre genauso sehr wie meine.«
Kit strich ihr über die Haare. »Es sind wohl noch nicht alle Geheimnisse gelüftet. Gute Nacht, Schatz.«
Am folgenden Morgen war Julia früh auf den Beinen, um das sonntägliche Frühstück vorzubereiten. Elsie erschien kurz nach neun in der Küche, schockiert darüber, dass sie so lange geschlafen hatte. »Die vielen Erinnerungen gestern haben mich müde gemacht«, erklärte sie, als sie sich an den Küchentisch setzte. »Normalerweise bin ich um sechs wach.«
Julia reichte Elsie eine Tasse Tee. »Einmal länger schlafen schadet sicher nicht. Außerdem freue ich mich, dass ich mich ausnahmsweise mal um dich kümmern kann.«
»Wie hast du meine Enthüllungen gestern Abend verdaut?«
»Nach dem ersten Schreck fühle ich mich gut«, antwortete Julia. »Schließlich hast du mir ja nicht gesagt, dass meine Eltern gar nicht meine Eltern waren.« Julia legte die Hand auf Elsies Schulter und beugte sich über sie, um ihr einen Kuss zu geben. »Dass wir keine Blutsverwandten sind, ändert nichts an meinen Gefühlen für dich.«
Elsie griff nach Julias Hand. »Danke, Liebes. Nach all deinen schrecklichen Erfahrungen im letzten Jahr hatte ich Sorge, dass das zu viel für dich wäre. Trotzdem musstest du es erfahren. Du und Kit, wenn ihr eines Tages heiraten solltet … Ihr seid verwandt. Es schien mir« – Elsie suchte nach dem richtigen Ausdruck – »unschicklich, es dir nicht zu sagen.«
»Danke. Darüber würde ich mir allerdings nicht den Kopf zerbrechen.
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