Orchideenhaus
weg bin? Und« – Julia schnürte es die Kehle zu – »Gabriels Zimmer. Vielleicht kennen Sie eine Wohltätigkeitsorganisation oder eine Familie, die sich über seine Spielsachen und seine Kleidung freuen würde?«
Agnes traten Tränen in die Augen. »Natürlich, Madame. Ich weiß eine Familie, die dankbar wäre dafür.«
»Ich komme noch einmal her, um meine persönlichen Dinge zu holen. Ansonsten schreibe ich alles zum Verkauf aus, wie es ist. Ich halte das für das Beste.«
Agnes nickte. »Es gibt ein altes französisches Sprichwort, Madame: Um der Zukunft zu gehören, muss man die Vergangenheit akzeptieren. Ich helfe Ihnen, so gut ich kann. Sie sind … sehr tapfer.«
»Nein.« Julia schüttelte den Kopf. »Wenn ich tapfer wäre, würde ich hierbleiben. Ich bin hergekommen, um Abschied zu nehmen.«
Agnes ergriff Julias Hand. »Er … Sie würden wollen, dass Sie sich auf die Zukunft konzentrieren und neues Glück finden.«
Julia lächelte matt. »Das muss ich jedenfalls glauben.«
»Ja, Madame, das müssen Sie.«
Agnes leerte ihren Kaffee und stand auf. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden. Ich muss mich an die Arbeit machen. Die Rechnungen habe ich auf den Schreibtisch im Arbeitszimmer gelegt.«
»Ich schreibe gleich heute die Schecks aus. Bitte sagen Sie allen Dankeschön für ihre Geduld.«
» Pas de problème, Madame . Wir hatten Sie gern hier. Sie drei«, fügte sie hinzu und ging ins Haus.
Julia verbrachte einige Stunden damit, die Post zu sichten, die sich im Lauf des vergangenen Jahres angesammelt hatte. Seit dem Unfall waren immer wieder Beileidsbriefe eingetroffen. Dass so viele Leute an sie dachten, tröstete sie.
Schließlich steckte sie alle Karten in eine Mappe, um sie mit nach England zu nehmen, und begann, Schecks auszustellen für die Leute, die sich in ihrer Abwesenheit um das Haus gekümmert hatten.
Beim Anblick eines großen Umschlags stockte ihr der Atem: Es handelte sich um die Sterbeurkunden für ihren Mann und ihren Sohn, die endgültige Bestätigung ihres Todes. Somit war der Fall offiziell abgeschlossen.
Ausgestattet mit Spaten, Kelle und zwei jungen Zypressenbäumen, fuhr Julia die zehn Minuten zu der tückischen Kurve, in der sich der Unfall ereignet hatte. Sie stellte den Wagen in einer Parkbucht ab, trug Spaten und Kelle zu der Kurve und ging noch einmal zum Auto zurück, um die Zypressen zu holen. Von der Hügelkuppe aus sah sie die verkohlten Bäume rund um die Schneise, die das Feuer geschlagen hatte. Als sie vorsichtig den steilen Abhang hinunterkletterte, entdeckte sie Zeichen neuen Lebens: wilde Orchideen und einige grüne Schösslinge. Feuer zerstörte nicht nur, sondern düngte auch. Julia konnte nur hoffen, dass das auf ihr Leben ebenfalls zutraf.
Da Julia die genaue Stelle ihres Todes nicht kannte, wählte sie die Mitte des Unfallorts und begann zu graben. In der Hitze war das Schwerstarbeit, doch sie gab sich erst zufrieden, als sie die jungen Zypressen nebeneinander eingepflanzt hatte. Dann kniete sie vor ihnen nieder und dachte an die geliebten Menschen, für die sie standen.
»Auf Wiedersehen, mon petit ange und mein Xavier. Schlaft gut. Ihr werdet mich immer begleiten. Und eines Tages werden wir wieder zusammen sein. Ich liebe euch sehr …«
Sie stand auf und warf beiden eine Kusshand zu, bevor sie den Abhang wieder emporkletterte.
Am folgenden Morgen fühlte sich Julia erleichtert darüber, dass sie sich ihren schlimmsten Ängsten gestellt hatte. Freunde hatten einen Gedenkgottesdienst für Xavier und Gabriel vorgeschlagen; vielleicht war sie nun, nach dieser Geste des Abschieds, dazu bereit.
Julia wagte den nächsten wichtigen Schritt und suchte den örtlichen Makler auf. Dieser sprach sein Bedauern aus, doch Julia wusste, dass er sich insgeheim die Hände rieb, schon bald
das begehrteste Haus von Ramatuelle im Angebot zu haben.
»Madame, ich kann den Verkauf mit einem einzigen Anruf in die Wege leiten. Objekte wie das Ihre werden selten angeboten. Sie können jeden Preis nennen; ich garantiere Ihnen, dass er bezahlt wird. Aber Sie sollten sich wirklich sicher sein. Zu einem Haus wie dem Ihren kommt man in diesem Ort nur einmal im Leben.«
»Ich bin mir ganz sicher«, erklärte Julia. »Ich würde mir lediglich wünschen, dass eine Familie dort lebt.«
»Da hätte ich genau die richtigen Käufer für Sie«, erklärte der Makler.
»Gut.« Julia stand auf. »Je schneller, desto besser. Das Haus sollte bewohnt werden, und
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