Orchideenhaus
schlüpfte in ihre Jacke und machte sich auf den Weg zu den Gewächshäusern von Wharton Park.
Dass sie die Stille im Cottage nun so viel schlechter ertrug als bisher, deutete sie als gutes Zeichen. Doch wenn sie nicht ob zahlloser leerer Tage den Verstand verlieren wollte, musste sie Pläne für die Zukunft schmieden.
Sie bog in die Auffahrt von Wharton Park und bewunderte die Rotbuchen, die sie flankierten, sowie die alte Eiche, unter der angeblich einst Anne Boleyn Heinrich VIII. geküsst hatte.
Nach fünfhundert Metern wandte sie sich nach rechts und lenkte den Wagen die holprige Straße entlang, die zum Geviert führte. Dahinter lag der Küchengarten mit den Treibhäusern.
Sie stellte das Auto im Geviert ab und trat hinaus in die kühle Luft. In ihrer Erinnerung war dies ein geschäftiger Ort, weil die Familien in unmittelbarer Nähe wohnten und sich auch die Stallungen dort befanden. Hier klapperten Hufe und wurden Traktoren ausgeladen, die bisweilen die Fußball spielenden Kinder der Arbeiter nur knapp verfehlten.
Es war eine kleine Welt innerhalb der größeren gewesen …
In der nun Stille herrschte.
Julia ging den von Gras überwucherten Weg entlang zum Küchengarten. Die blaue Tür existierte noch, wenn auch mittlerweile von Efeu umrankt. Sie drückte sie auf.
Anstelle der sorgfältig gepflanzten langen Reihen mit Karotten, Erbsen und Pastinaken hatten sich Unkraut und Nesseln ausgebreitet, dazwischen einzelne traurige, ausgewachsene Kohlköpfe. Julia schlenderte weiter zu dem kleinen Obstgarten, der den Blick auf die Gewächshäuser verdeckte.
Die Apfel-, Birnen- und Pflaumenbäume, manche sehr alt, standen noch da, mit krummen, nackten Ästen, darunter verrottetes Fallobst vom vergangenen Herbst.
Julia ging zwischen den Bäumen hindurch, bis sie die Dächer der Treibhäuser zwischen den Blättern der wild wuchernden Büsche hindurchlugen sah und den kaum noch erkennbaren Pfad zur ersten Tür erreichte – die auf dem Boden lag, ein Haufen fauliges Holz und zerbrochenes Glas. Sie stieg darüber hinweg und betrat das Gewächshaus.
Es war bis auf die alten Tapeziertische sowie die Reihen von Metallhaken über ihr leer, der Betonboden mit Moos bedeckt, und Unkraut hatte sich darin ausgebreitet.
Julia lief zum anderen Ende des Treibhauses und fand dort, in derselben Ecke wie früher, den Hocker, auf dem sie immer gesessen hatte. Darunter stand, die Metallteile mit einer
dicken Schicht Rost überzogen, das alte Bakelit-Radio von Großvater Bill.
Obwohl man es sicher nicht mehr reparieren konnte, würde sie es mitnehmen. Julia drückte es an die Brust wie ein Baby und drehte in dem aussichtslosen Versuch, es zu neuem Leben zu erwecken, an den Knöpfen …
»Orchideen lieben Musik, Julia. Vielleicht erinnert sie sie an die Geräusche der Natur in ihrer Heimat«, sagt Großvater Bill, während er mir zeigt, wie man die zarten Blütenblätter mit einer Blumenspritze besprüht.» Und an die Wärme und Feuchtigkeit dort.«
Die meisten Besucher finden es in den Gewächshäusern, in denen die Luft steht und durch deren Glasfenster das grelle Licht der Sonne hereindringt, was die Temperatur weit über die eines heißen englischen Tages ansteigen lässt, unerträglich.
Ich liebe diese Wärme, weil ich nicht gern viel anhabe. Hier fühle ich mich zu Hause, und auch Großvater Bill scheint die Hitze nichts auszumachen.
Außerdem kann sich so der angenehme Duft der Blumen besser in der Luft verbreiten.
»Das ist eine Dendrobium Victoria Regina, die manche auch als Blaue Dendrobium bezeichnen, aber wie du siehst, ist sie fliederfarben«, erklärt mein Großvater. »Eine echte blaue Orchidee muss erst noch entdeckt werden. Diese hier wächst auf Bäumen in Südostasien … Kannst du dir das vorstellen? Ganze Gärten in der Luft …«
Dann bekommt Großvater Bill »diesen Blick«, wie ich ihn nenne, und obwohl ich ihn bitte, mir mehr zu erzählen, tut er es nicht.
»Dendrobia ruhen im Winter. Ich deute das als Winterschlaf. In dieser Zeit brauchen sie gerade so viel Wasser, dass sie nicht welken.«
»Woher weißt du, was sie mögen, Großvater?«, frage ich ihn. »Bist du in die Orchideenschule gegangen?«
Er schüttelt schmunzelnd den Kopf. »Nein, Julia. Ich habe viel
von einem asiatischen Freund gelernt, der inmitten von Orchideen aufwuchs. Das Übrige habe ich mir durch Probieren und genaue Beobachtung ihrer Reaktion auf das, was ich mit ihnen anstellte, selbst angeeignet. Heutzutage weiß man
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