Orchideenstaub
Mörder war.
„Reden Sie, Thiel, bevor ich mich vergesse“, brüllte er durch den Raum. „Irgendjemand da draußen rächt sich persönlich an Ihnen und Ihrer Familie für Ihre abscheulichen Taten. Jemand der persönlich davon betroffen wurde. Wer?“
„Das kann nicht sein.“ Thiel griff nach seinem Glas und kippte es um. Der Inhalt ergoss sich auf seinem Schoß, sodass es aussah, als hätte er sich vollgepinkelt.
„Dann gab es also keine Überlebenden?“, schlussfolgerte Sam.
Thiels Unterkiefer fing wieder zu zittern an. „Das habe ich nicht gesagt.“
„Das brauchten Sie auch nicht.“
Die Augen des alten Mannes wanderten wieder zu dem kleinen Büchlein in Sams Hand.
„Und? Sagen Sie mir jetzt, was da drin steht?“
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, legte Sam es dem alten Mann in den Schoß. „Hier lesen Sie selbst.“ Dann ging er nach draußen, sog die frische Luft tief in seine Lungen und atmete sie langsam wieder aus. Er fühlte sich als wäre ein Hinkelstein von seinen Schultern genommen. Verbliebe noch einer.
„Sie Mistkerl, Sie haben mich reingelegt. Ich werde alles leugnen“, krähte Thiel aus dem Inneren des Hauses.
Sam hob ein Diktiergerät in die Luft und ging zum Gästehaus. Er wollte jetzt seine Sachen packen und ins Hotel gehen.
Der Ursprung des Bösen war geklärt, trotzdem hatten Sie den Mörder immer noch nicht und das bereitete Sam ernsthaft Sorgen.
Als er das Gästehaus betrat, bemerkte er sofort einen fremden Geruch darin. Die letzten Tage hatte es immer frisch nach Putzmitteln gerochen, wenn er reingekommen war, jetzt roch es irgendwie nach einem fremden Menschen. Er holte seine Tasche aus dem Schrank und begann, seine Sachen einzupacken. Als er die Schuhe aus dem unteren Teil herauszog, fiel ihm ein Stapel Bücher in der Ecke auf. Hatten sie dort vorher auch schon gelegen? Aus dem Bad holte er seine Toilettensachen und ging wieder zurück ins Zimmer, als ihm das Duschgel aus der Hand fiel, und direkt vor den noch geöffneten Schrank, zwanzig Zentimeter von den Büchern entfernt landete. Sie wären ihm garantiert aufgefallen, dachte er und bückte sich nach dem Duschgel. Dabei warf er einen Blick auf den obersten Buchrücken. Er stutzte. Jetzt sah er sich die anderen genauer an. Auf allen standen handschriftlich geschriebene Jahreszahlen. Es war eine alte Handschrift und genau das veranlasste ihn, die Bücher aus ihrer dunklen Ecke zu holen. Sam schlug das erste von fünf Büchern auf. Es waren Protokolle und beim Durchlesen traten ihm nicht nur Tränen in die Augen, ihm kam auch bitterer Magensaft hoch.
Er griff zu seinem Handy, wählte die Nummer von Brenner und veranlasste, dass Heinrich Thiel für seine Taten zur Rechenschaft gezogen wurde. Dann verließ er das Anwesen der Familie Thiel/Rodriguez, ohne sich zu verabschieden.
56.
Es war die erste Nacht, die Sam seit Langem durchgeschlafen hatte. Kein krähender Hahn um zwei Uhr morgens, dessen innere Uhr falsch zu ticken schien, keine nächtlichen Schießereien in der Nähe, keine Mücke, die penetrant neben seinem Ohr summte und bei Licht sich versteckte.
Sam schlug die Augen auf und überlegte, ob er das Ganze nur geträumt oder ob er tatsächlich die Gräueltaten eines Alt-Nazis aufgedeckt hatte. Das Buch auf seinem Nachttisch mit der Jahreszahl 1973 auf dem Rücken war der Beweis dafür, dass es leider traurige Wahrheit war.
Jemand klopfte an die Tür. Es war Juri mit dem Zimmerservice. Vorerst wollten sie ihr Frühstück auf dem Zimmer einnehmen, um nicht Gefahr zu laufen eventuell von Judith Weinmann oder Rafael gesehen zu werden, die sich gestern Abend in dem mexikanischen Restaurant entgegen aller Vermutungen nicht wie ein Liebespaar verhalten hatten. Juan Carlos, der sich zwei Tische weiter von dem Paar platzieren konnte, hatte ein paar Gesprächsfetzen aufgeschnappt und herausgehört, dass sie noch jemanden erwarteten und die Sache dann starten könnte. Was das war, blieb im Dunkeln.
„Hey du Schlafmütze, aufstehen. Du bist nicht im Urlaub.“ Juri zog die Gardinen der geräumigen Suite zur Seite und sah sich um. „Mensch, da lässt es sich aber einer auf Staatskosten gut gehen. Junge, Junge.“
„Immer entspannt bleiben.“
Sam hatte es selbst schon vergessen, dass er eigentlich ein reicher Mann war. Erst gestern beim Einchecken hatte er die Kreditkarte gezückt und sich eine Suite gegönnt, die über sein vorgeschriebenes Budget ging. Er fand, er hatte es verdient.
Der
Weitere Kostenlose Bücher