Orchideenstaub
diesen Worten sackte der Mann in sich zusammen und schluchzte hemmungslos.
Laut Dr. Steiner hatte sie keinen Computer besessen, so schied die Wahrscheinlichkeit aus, dass sie sich im Internet auf die Suche nach Männern gemacht hatte, wie Jasmin Rewe. Aber war die Vergangenheit der Opfer wirklich wichtig? Sam kam plötzlich alles so sinnlos vor. Er sah zu Germain, der sich Notizen auf einem Zettel machte und immer mal wieder zu Dr. Steiner sah, der sich allmählich beruhigte.
Zwei lange Minuten redete keiner. Das einzige Geräusch war der Stift, der über das Papier kratzte.
„Dr. Steiner, haben Sie noch ihre Zimmerkarte?“, fragte Sam in die Stille.
„Ich denke schon.“ Harry Steiner überlegte einen Augenblick, dann fasste er in seine rechte Jacketttasche, durchsuchte die linke und beide Innentaschen. „Sie müsste … na, wahrscheinlich habe ich sie auf dem Zimmer liegen gelassen. Ich … ich weiß nicht“, sagte er verwirrt und rieb sich über die Stirn, als würde er damit sein Gedächtnis anregen. „Nein, ich bin mir sicher, dass ich sie eingesteckt habe. Merkwürdig.“
„Hatten Sie einen Zusammenstoß mit jemandem? Nachdem Sie das Zimmer wieder am Mittag verlassen haben?“
Harry Steiner sah Sam argwöhnisch an. „Ja … doch, bevor ich ins Taxi gestiegen bin, bin ich mit jemandem … oder er mit mir. Es war ein junger Mann.“ Harry Steiner versuchte, sich genauer zu erinnern.
„Wie sah er aus?“
Germain hatte jetzt aufgehört zu schreiben.
„Er war kleiner als ich, etwa eins fünfundsiebzig, schmal. Gut gekleidet. Dunkle Jacke, dunkle Hose. Er trug eine Schirmmütze, wie ein typischer Franzose. Aber da war irgendwas … was war es noch.“
„Denken Sie nach. Hatte er etwas in den Händen, war er tätowiert, trug er Schmuck?“
Dr. Steiner schüttelte den Kopf.
„Nein. Er sagte: Entschuldigung, Señor.“
„Entschuldigung, Señor? Sind Sie sich da ganz sicher?“
„Ja, ich bin mir sicher.“
Sam hob die rechte Augenbraue und sah sein Gegenüber skeptisch an. Hatte sich Dr. Steiner vielleicht verhört? Mit welchem Landsmann hatten sie es hier zu tun? Jemand, der sich wie ein Franzose kleidete, deutsche Gedichte schrieb und sich auf deutsch mit spanischer Anrede entschuldigte. Oder führte da jemand die Polizei gewaltig an der Nase herum?
„Ist Ihnen der Mann schon vorher aufgefallen?“
„Nein.“
„Woher wusste er, dass Sie Deutscher sind?
„Ich habe keine Ahnung.“
„Können Sie sich noch an die Haarfarbe erinnern?“
Dr. Steiner kratzte sich an der Schläfe, schloss die Augen für einen Moment. „Ja, ich glaube er war blond … aber so genau weiß ich es nun auch nicht mehr. Er hatte ja diese Mütze auf.“
Blond war in den südlicheren Gefilden seltener, obwohl es auch blonde Spanier gab. Ein Deutscher wäre da vielleicht noch wahrscheinlicher, überlegte Sam. Doch würde ein Deutscher in Paris zu jemandem „Señor“ sagen?
18.
HAMBURG Jens Wimmer war gerade dabei seine Wohnungstür aufzuschließen, als er mit voller Wucht dagegen gedrückt wurde. Aus dem Augenwinkel konnte er andere Gestalten ausmachen, die die Treppen hoch- und runterkamen.
„Jens Wimmer?“
Die Hände hoch erhoben, versuchte er zu nicken, was ihm schwerfiel, weil er immer noch mit dem Gesicht an der Tür klebte. Er wurde abgetastet und jemand durchsuchte seine Taschen.
„Interessant. Was haben wir denn hier.“ Der Polizist hielt eine kleine Plastiktüte mit drei blonden halblangen Haaren in die Höhe und steckte sie ein. Schließlich ließ man von ihm ab.
„Ja, so heiße ich. Was geht denn hier ab?“, fragte er empört.
„Wir müssen Sie bitten mitzukommen“, sagte der Beamte bestimmt und legte ihm Handschellen an.
Jens Wimmer wurde in ein Polizeifahrzeug verfrachtet und dann fuhr man mit ihm quer durch die Stadt. Während der Fahrt sprach niemand ein Wort mit ihm.
Sam war nach einem Anruf von Brenner kurzerhand aus dem Büro der Police judicaire aufgebrochen und hatte den Ausflug, den Germain mit ihm machen wollte, auf einen anderen Tag verschoben. Brenner hatte sich direkt mit ihm auf dem Pariser Flughafen getroffen, ihm eine weitere Akte in die Hand gedrückt und ihm Fräulein Estelle Beauchamp vorgestellt, die ihn nur kurz während seiner Bandscheibenoperation vertreten würde.
Sie hatte einen gepflegten Pagenschnitt und ihre wachen intelligenten Augen versteckte sie hinter einer schwarz gerahmten schmalen Brille, die sie sehr sexy aussehen
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