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Orchideenstaub

Orchideenstaub

Titel: Orchideenstaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Pleva
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normal zu sein, denn er konzentrierte sich wieder auf die Straße und klopfte rhythmisch zur Musik aufs Lenkrad.
    Sam drehte sich noch einmal um. Unverkennbar konnte man das BMW-Zeichen auf der Motorhaube sehen. Er schüttelte den Gedanken ab, der in ihm aufkommen wollte, und fragte den Fahrer, ob er wüsste, was da passiert wäre.
    „Sí, heute Nacht haben sie dort eine Frau erschossen. Dem Wagen nach zu urteilen, wahrscheinlich eine Prepago. “
    „Eine was?“
    „Eine Edelhure. Zurzeit machen die aguilas negras Jagd auf Drogenabhängige, Dealer, Huren und Diebe. Gerade vorgestern haben sie in einem Einkaufszentrum zwei von denen erschossen.“
    Sam nickte verständnisvoll, als würde er das alles für völlig normal erachten. „Die aguilas negras ?“
    „Sie sind nicht von hier, was? Dachte ich mir schon. Die aguilas sind eine Organisation, die die Straßen von Unrat säubert.“
    Sam war im ersten Moment beruhigt, wusste er doch, dass es sich bei Lea nicht um eine Hure handelte. Als er sich jedoch das Straßenbild näher ansah und nicht einen einzigen weiteren dreitürigen 1er BMW entdecken konnte, machte ihn das doch nachdenklich. Der Wagen schien hier, im Gegensatz zu Deutschland, eine Rarität zu sein. Er hoffte, dass Rafael ihm später den letzten Zweifel nehmen konnte.
    Das Taxi hielt vor dem Hotel Intercontinental, über dessen Eingang, als Zeichen seiner kosmopoliten Gäste, die Flaggen aller Nationen der Welt hingen. Der Concierge zeigte ihm den Weg zum Restaurant, und als Sam durch die gläserne Tür trat, sah er auch schon an einem der hinteren Tische ein ihm sehr bekanntes Gesicht sitzen.
    Juri hatte sich, wie angekündigt Urlaub genommen, nachdem man ihm die Erlaubnis nicht erteilt hatte, mit Sam nach Kolumbien zu fliegen. Erst hatte Sam die Idee seines jungen Kollegen für nicht gut erachtet, doch nun war er mehr als froh, ihn hier zu haben. Sie hatten abgemacht, dass Juri im Hintergrund bleiben sollte.
    Sam reichte ihm eines der beiden Handys, die Rafael ihm gegeben hatte. So konnten sie stets im Kontakt bleiben.
    „Also ich glaube, dass ich diese Reise auf keinen Fall bereuen werde.“ Dann beugte Juri sich über den Tisch zu Sam und grinste schelmisch. „Hast du die Frauen hier gesehen. Mehr geht nicht. Sogar die Kellnerinnen und Zimmermädchen sind hier sexy.“ Dann wurde er wieder ernst. „Okay, was gibt´s Neues?“
    Sam holte die drei Gedichte aus seiner Innentasche hervor und legte sie auf den Tisch. „Das älteste ist etwa zwölf Jahre, das jüngste etwa ein bis zwei Monate alt.“
     
    Das Sein, es begann, der Schlag war nur schwach
    Doch stark trieb der Wille, der Atem blieb wach.
    Geborgen der Leib in wildfremdem Staub
    Die Seele gestorben, verloren und taub.
    Die Nacht hält das Herz mit eisernem Griff
    Zerschollen die Träume am schartigen Riff.
    Sie sanken zum Grund ohn irgendein Laut
    Der Tag nur das spiegelnde Wasser erschaut.
     
    Juri las das erste Gedicht erst leise, dann fing er nochmal von vorne an.
     „Okay, das Sein, es begann, der Schlag war nur schwach … Also wenn ich das richtig interpretiere, ist es das Herz, das da so schwach schlägt. Es deutet vielleicht auf … na auf den Anfang eines Lebens. Auch die nächsten Zeilen … Doch stark trieb der Wille, der Atem blieb wach. Er hat irgendetwas überlebt, würde ich sagen.“
    Sam schmunzelte. „ Ja, könnte was dran sein. Gar nicht schlecht, Kleiner.“
    „Das ist das, was man offensichtlich sehen kann, aber ob der Autor das auch so meinte, steht auf einem anderen Blatt geschrieben. Geborgen im Leib in wildfremdem Staub … “
    „Der wildfremde Staub könnte eine Leihmutter sein“, überlegte Sam laut.
    „Oder eine Ziehmutter“, entgegnete Juri. „ Die Seele gestorben, verloren und taub … Er hat den Glauben an die Welt verloren, ist innerlich gestorben.“
    „Also könnte es sich um eine Geburt handeln. Um jemanden der beinahe stirbt, es aber dann doch schafft. Das Herz ist kräftig, aber die Seele ist tot. Warum? Er wird nicht geliebt. Nicht geliebt von der eigenen Mutter, sondern von jemand Fremdem“, fasste Sam zusammen und dachte, dass es sich hier um ein typisches Kindheitsprofil eines Serienmöders handelte. Außerdem konnten Geburtstraumen unter anderem abnormale Hirnfunktionen nach sich ziehen, die später wiederum zu Störungen in der Wahrnehmung, der Affektivität und Sexualität führen konnten. Multiple Mörder wiesen laut einer Studie sogar sehr oft Hirnanomalien auf.
    Eine Seele, die

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