Orcs ante Portas
Aktivitäten. So ziemlich alle hochkarätigen Zauberer unseres Stadtstaates marschieren nämlich gerade aus ihrem Haus heraus und steigen in ihre privaten Kutschen. Harmonius AlpElf ist darunter, der Alte Hasius Brillantinius, Melis die Reine, Lahmius Sonnenfänger, Tinitis Schlangenstrickerin und sogar Chomenius der Fleischwolf. Letzterer ist sowohl wegen seiner Macht gefürchtet als auch wegen seines Jähzorns. Er besucht unsere Stadt nur sehr selten und zieht es vor, sich in seiner Villa an der Küste von Ferias aufzuhalten. Als er zu seiner vierspännigen Kutsche schreitet, verbeugen sich jüngere Zauberer wie Capali Kometenreiter und Anemari Donnerschlag vor ihm, während geringere Leuchten der Zaubererinnung wie Gorsius Sternengucker und Patalix Regenmacher neiderfüllt zusehen müssen.
Der Letzte, der Lisutaris’ Haus verlässt, ist Ovinian der Wahre, dem eine Gruppe livrierter Diener in seine eskortierte Kutsche hilft. Ovinian ist nicht etwa besonders mächtig, aber er ist der Oberste Magische Berater des Königs. Dieser Rang verleiht ihm hohes Ansehen. Wie alle anderen Zauberer Turais trägt auch er einen Regenbogenumhang. Seiner ist besonders bunt. Lisutaris’ Umhang dagegen ist wesentlich geschmackvoller, ausgezeichnet geschnitten, und seine Farben sind etwas gedämpft. Ich würde sagen, je mächtiger ein Zauberer ist, desto diskreter ist sein Umhang. Chomenius’ Umhang zum Beispiel ist fast gänzlich grau. Nur am Kragen ist das Regenbogenmotiv zu erkennen. Tinitis Schlangenstrickerin bildet dagegen die Ausnahme von dieser Regel. Sie ist sehr mächtig, aber was Mode angeht, neigt sie nicht gerade zur Diskretion. Sie trägt einen sehr eleganten Umhang, seidig und beinahe transparent. Tinitis ist eine umwerfende Schönheit, die schillerndste Zauberin im ganzen Stadtstaat und sehr darauf bedacht, das niemanden vergessen zu lassen. Ihr Haar ist von einem beinahe blendenden Platinblond, was für eine von der Natur mit schwarzen Haaren gesegnete Frau eine Menge Kräuterbehandlungen und wohl auch einen oder zwei Zaubersprüche verlangt. Letztes Jahr hat sie einen Skandal verursacht, als sie zu Prinzessin Du-Lackais Geburtstagsfeierlichkeiten in einem Kleid aufkreuzte, das derartig eng an ihrem Körper anlag und so durchsichtig war, dass es die Gesundheit einiger ältlicher Senatoren, die ebenfalls eingeladen waren, ernstlich in Gefahr brachte. Bischof Gabrielius war darüber offenbar so erregt, dass er sie am nächsten Tag von der Kanzel aus verdammt hat. Sehr zu Tinitis’ Belustigung übrigens.
Ich habe in meiner Jugend zwar ebenfalls Zauberei studiert, aber mein Studium leider abgebrochen und besitze nur einen Bruchteil der Macht dieser Leute. Ich trete vom Tor zurück und lasse sie hinausgehen, bevor ich mich dem Haus nähere. Nicht, dass ich glaube, irgendein Zauberer wäre besser als ich. Aber ich mag es einfach nicht, wenn man mir meine alten Fehler unter die Nase reibt.
Nachdem alle weggefahren sind, gehe ich über den langen Gartenpfad, der zwischen Büschen und Sträuchern entlangführt, und klopfe an die Tür. Die Dienerin, die mir öffnet, kennt mich noch von meinen früheren Besuchen. Skeptisch sieht sie mich an und teilt mir mit, dass die Versammlung beendet ist.
»Ich bin nicht wegen der Versammlung gekommen. Es ist ein privater Besuch. Lisutaris wird mich empfangen.«
Die Dienerin sieht mich etwa so einladend an wie die Bestien, welche die Tore der Hölle bewachen. Sie ist mitnichten davon überzeugt, dass Lisutaris mich empfangen wird, und lässt mich vor der Tür warten. Ich warte. Lange. Schließlich kehrt sie mit der Botschaft zurück, dass ihre Herrin beschäftigt ist und mich darum bittet, sie zu einem anderen Zeitpunkt zu besuchen.
»Nichts da«, sage ich und dränge mich an ihr vorbei. Mit meinem nicht unbeträchtlichen Leibesumfang schiebe ich sie einfach aus dem Weg, eine Taktik im Umgang mit Dienstboten, die sich im Laufe der Jahre als sehr nützlich erwiesen hat. Ich weiß, wo sich Lisutaris aufhält. Die Herrin des Himmels ist Sklavin des Thazis und führt sich diese Droge in einer Dosis zu Gemüte, die jeden anderen Bürger dieses Stadtstaats längst umgebracht hätte. Da Lisutaris vermutlich nicht in der Lage war, sich hemmungslos zu berauschen, während sie sich mit ihren Zaubererkollegen beratschlagt hat, dürfte sie sich jetzt in ihrem gemütlichen Rauchzimmer vergraben haben, von dem aus sie einen hübschen Blick auf den Garten hat, und an ihrer Wasserpfeife nuckeln.
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