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Ordnung ist nur das halbe Leben

Ordnung ist nur das halbe Leben

Titel: Ordnung ist nur das halbe Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Flint
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gelogen.«
    Eingeschnappt schwieg ich.
    »Ruf sie an«, forderte mich Saskia auf. »Dann hast du deinen Beweis.«
    »Ich kann sie doch nicht anrufen! Ich weiß nie, worüber ich mit ihnen reden soll.«
    Saskia reichte mir ihr Handy. »Ruf sie an.«
    »Ja«, sagte Ellen. »Dann weißt du Bescheid. Bescheid wissen ist immer besser.« Sie schluckte.
    Zögernd nahm ich das Telefon. »Aber was soll ich denn sagen?«
    »Sag ihnen, die Therapeutin hätte sich gemeldet, und es gäbe ein Problem mit der Rechnung, und sie müssten noch tausend Euro bezahlen. Beim Thema Geld werden alle hellwach.«
    Zweifelnd wählte ich die Nummer. Herr Hill meldete sich mit seiner Telefonstimme, die es schaffte, zumindest seinen Namen energisch auszusprechen, um dann in sich zusammenzufallen. Mit belegter Stimme grüßte ich ihn, und dann schwiegen wir uns etwa zehn Sekunden an, bis ich den Satz sagte, den Saskia mir noch mal in Gebärdensprache vom Fahrersitz aus vormachte.
    Der Satz mit der unbezahlten Rechnung wirkte tatsächlich Wunder. Plötzlich erwachte Herr Hill zum Leben.
    »Tausend Euro für eine Therapie?«, fragte er entrüstet. »Das kann nicht sein. Das muss ein Fehler sein. Niemals war ich bei einer Therapie.«
    »Danke«, sagte ich. »Das dachte ich mir schon.« Dann legte ich auf.
    Vor lauter Schock hatte ich sogar vergessen, mich zu verabschieden. Während des Telefonats hatten wir das Schalterhäuschen passiert. Aber ein weiterer Gedanke lenkte mich ab. Wenn er mich schon belogen hatte, was seine Freizeit anging, was war dann erst mit seiner Fortbildung? Mit Saskias Smartphone recherchierte ich ein bisschen über die Seminare der Finance Business School London. Warum hatte ich das bloß nicht früher gemacht? Ich war ja so ein verdammter gutgläubiger Idiot.
    »Die Fortbildung war vor zwei Wochen zu Ende«, flüsterte ich atemlos.
    In dem Moment fuhren wir eine Rampe hoch und gelangten auf eine Brücke mit Bodenschwellen, die das Auto ordentlich durchschüttelten. Links von uns waren die Schienen. Dann näherte sich ein Mann in orangefarbener Schutzweste, der uns zeigte, bis wo wir vorfahren sollten. Saskia stellte den Motor ab. Ein Zug fuhr links von uns ein, und darauf standen Autos wie auf einem Transporter, genauso aufgereiht wie wir jetzt. Plötzlich setzten auch wir uns in Bewegung, aber ohne dass wir selber fuhren.
    »Sind wir schon auf dem Zug? Ach du meine Güte«, rief Ellen aufgeregt.
    »Wo fahren wir eigentlich hin?«, fragte ich verwirrt.
    Ellen drehte sich zu mir um. »Wir haben beschlossen, dass wir jetzt Urlaub machen.«
    »Urlaub?«, kreischte ich.
    »Auf Sylt«, sagte Saskia.
    »Urlaub auf Sylt?«, wiederholte ich begriffsstutzig.
    »Ja, das wird uns allen guttun«, plapperte Ellen. »Wir haben alle eine Pause verdient. Wir lassen uns den Wind um die Nase wehen, und dann sehen wir weiter.«
    »Außerdem hat ein Bekannter von mir ein Haus auf der Insel. Er hat mir schon oft angeboten, dort zu übernachten«, sagte Saskia.
    »Nein«, protestierte ich, aber zur Antwort drehte sie das Radio lauter, in dem der alte Song »Dreadlock Holidays« lief.
    Wir fuhren an ein paar Häusern und Firmengebäuden vorbei, dann öffnete sich die Landschaft zu Wiesen und Feldern. Einige Windräder drehten sich träge im Frühlingswind. Ich konnte es nicht fassen. Sylt? Ich konnte keinen Urlaub auf Sylt machen! Ich hatte gerade herausgefunden, dass mich mein Verlobter nach Strich und Faden belogen hatte, und sollte mich nun untätig an den Strand legen?
    »Wir müssen umdrehen«, versuchte ich es noch einmal.
    »Wir können nicht umdrehen«, beschied Saskia. »Wir sind auf einem Autoreisezug.«
    »Wann kommt denn endlich das Meer?«, fragte Ellen aufgeregt.
    »Gute Frage … Da hinten! Da ist es!«, rief Saskia.
    Tatsächlich. Es kroch in flachen Wellen über den dunklen Sand. Es dauerte nicht lange, dann waren wir auch schon auf Sylt. Eine Viertelstunde später fuhren wir in Westerland von dem Autoreisezug herunter.
    »Wir müssen zurück. Ich muss …«, sagte ich entkräftet.
    »Was musst du denn?«, fragte Saskia herausfordernd.
    Darauf fiel mir aber leider keine passende Antwort ein.
    »Ich sage es dir: Du kannst im Moment gar nichts machen. Also entspann dich. Wer will Kaffee?«
    »Ich«, schrie Ellen von hinten. Saskia hielt vor einer Bäckerei.
    Langsam wurde mir alles scheißegal. Ich ließ mir ein Käsebrötchen und einen Milchkaffee in die Hand drücken und kaute bockig darauf rum. Dann entdeckte Saskia einen

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