Ordnung ist nur das halbe Leben
kramte die Schokomandeln aus der Einkaufstüte und reichte sie mir.
Ich schüttelte nur den Kopf. Ellen zuckte mit den Achseln und riss die Packung auf.
»Dann bleibt nur eine andere Lösung«, sagte Saskia.
»Was soll es denn noch für eine Lösung geben?«, fragte Ellen mit vollem Mund.
»Rache.«
Wir sahen sie verblüfft an.
»Rache ist auch sehr heilsam, wenn man betrogen wurde«, sagte Saskia. »Ich habe meinen Ex angezeigt, weil er im zweiten Staatsexamen gepfuscht hatte.«
»Nein, das hast du nicht getan!«, rief Ellen.
»Doch, na klar. Ihm wurde das Examen aberkannt, und er hat seine Anwaltszulassung verloren. Jetzt arbeitet er nicht als Staranwalt, sondern als Hiwi beim Mieterbund.« Saskia lächelte triumphierend.
Ellen und ich schauten uns an und zogen eine Grimasse. Mit Saskia sollte man sich besser nicht anlegen.
»Das ist Hardcore«, sagte Ellen. »Dagegen ist ein Übergangsmann eine viel sanftere Methode, sich vom Ex zu entwöhnen und auf andere Gedanken zu bringen.«
»Aber er ist doch noch gar nicht mein Ex, und ich kann doch nicht einfach …«, versuchte ich einzuwenden.
»Warum denn nicht?«, unterbrach Saskia. »Jens hat es wirklich nicht besser verdient.«
Ich zögerte immer noch. Es kam mir einfach falsch vor. Erst einmal müsste ich mit Jens alles klären, bevor ich mit einem anderen Mann was anfing. Andererseits war die Aussicht, Lennart wiederzusehen, verlockend. Er fand, dass ich spontan war. Und lustig. Und er hatte mich geküsst.
»Du musst ja auch gar nicht mit Lennart in die Kiste springen. Dann klärst du einfach nur das Missverständnis mit deinem Vater auf«, argumentierte Ellen. »Und dann gehen wir ein Eis essen.«
»Und um Jens und seine Machenschaften kümmerst du dich, wenn du wieder zu Hause bist«, sagte Saskia. »Jetzt kannst du da sowieso nichts machen.«
Damit hatten sie natürlich recht.
»Los! Das wird lustig«, sagte Ellen. »Hab doch einfach mal etwas Spaß.«
»Also gut«, sagte ich mürrisch, um wenigstens die Fassade von der anständigen Moni aufrechtzuerhalten.
»Juchhu!«, rief Ellen und strahlte vor Aufregung. »Wer weiß? Vielleicht hat er ja auch noch einen netten Freund für mich! Und dann suchen wir nur noch für Saskia einen, und alles ist wieder gut.«
Das bezweifelte ich.
»Aber ich habe keine Ahnung, wo er sein könnte«, wandte ich ein.
»In List gibt es eine Algenfarm«, informierte Saskia. »Und das Alfred-Wegener-Institut für Meeresforschung. Da müsste Lennart irgendwo zu finden sein.«
»Es ist auch nicht weit«, sagte Ellen.
»Man könnte fast den Eindruck haben, als hättet ihr das alles geplant«, sagte ich. Saskia und Ellen warfen sich einen verschwörerischen Blick zu.
Wir fuhren nach Norden. Die sanfte Dünenlandschaft mit dem allgegenwärtigen Dünengras erstreckte sich links und rechts von uns, und Teppiche von Heidekraut, das in der Sonne seine zartlila Blüten öffnete, bedeckten den sandigen Boden.
»Hat dein Bekannter auch so eins?«, fragte ich und zeigte auf eines der reetgedeckten Häuser, das auf einem der Hügel einen guten Aussichtspunkt ergattert hatte.
»Hmmmja«, machte Saskia.
»Hast du ihn schon angerufen?«, wollte Ellen wissen.
»Ja, es geht alles klar. Ach, schaut mal, da!« Sie zeigte nach rechts, wo jetzt das Wattenmeer sichtbar wurde.
List war ein kleiner Ort ganz im Norden von Sylt. Die Algenfarm fanden wir auf Anhieb, denn sie lag direkt an der Hauptstraße neben dem Bistro einer Austernfarm.
»Wir versuchen es erst hier. Dann fahren wir weiter zu dem Institut«, bestimmte Saskia und bog auf den Parkplatz ein.
»Aber was soll ich ihm denn sagen?«, fragte ich nervös, denn das ging alles schneller, als mir lieb war. Ich fühlte mich überfordert bei der Aussicht, Lennart gleich gegenüberzustehen.
»Ganz einfach«, sagte Saskia. »Die Wahrheit.«
Wir stiegen aus. Es war hier deutlich kühler als in Itzehoe. Die Sonne war warm, aber der Wind ziemlich frisch. Eine Frau, die mit ihren Gummistiefeln und Handschuhen aussah, als ob sie auf einem Fischkutter anheuern wollte, kam mit einer grauen Kiste in den Händen aus einem Schuppen.
»Entschuldigen Sie«, sprach ich sie höflich an, »wir suchen Lennart Heinrichs. Er forscht über Algen.«
Sie musste nicht lange überlegen. »Jou«, sagte sie mit deutlich norddeutschem Akzent. »Der müsste hinten sein. Die packen gerade Sachen für die Fahrt ins Kattegat.« Sie deutete mit dem Kopf auf einen Kombi mit offener Heckklappe, der weiter
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