Ordnung ist nur das halbe Leben
träufelte sie auf den Fleck. Das sah in meinen Augen wenig vielversprechend aus. Im Gegenteil. Der Fleck sah jetzt aus wie blutiger, eitriger Ausfluss. Auch Gool schien zu bemerken, dass es keine gute Idee war, das unersetzliche chilenische Ziegenwildleder noch mehr zu besudeln, denn sie fischte einen platten, polierten Kieselstein aus einem Samtsäckchen und legte ihn auf den unappetitlichen Klecks.
Ich schaute sie zweifelnd an. Sie blieb regungslos. Ich wagte nicht, sie zu fragen, was das Ganze sollte. So standen wir zehn Minuten da. Dann hob sie den Stein auf, und ich konnte es nicht fassen: Der Fleck war weg!
»Aber wie ….?«
»Das ist toll, nicht? Meine eigene Erfindung.« Sie hob das Fläschchen in die Höhe.
»Aber was ist denn da drin?«
»Geheimrezept«, sagte Gool.
»Wirklich verblüffend. Danke!«
»Gern geschehen.«
Damit kam ich zu der spannenden Frage: »Und wie viel kostet das jetzt?«
Sie verbeugte sich vor mir. »Puna Monday, das ist mein Geschenk für dich.«
»Danke«, sagte ich, und dann tat ich wieder etwas, was ich sonst nie tat, und vielleicht lag es wirklich an den Sonnenstrahlen zum Frühstück: Ich umarmte eine fremde Frau. »Herzlichen Dank, liebe Gool«, sagte ich. »Saubere Arbeit.«
Sie lächelte mir gnädig zu.
Jetzt schnell raus hier, bevor ich noch zum Mittagessen eingeladen werden würde und eine Schüssel Wind vorgesetzt bekäme.
»Ich werde den Flieger erwischen!«, rief ich triumphierend, als ich mitsamt dem Sessel auf dem Transportwagen wieder zu meinen Freundinnen rauskam. »Tatatataaaa! Wir können nach Hause fahren.« Ich präsentierte ihnen gut gelaunt die makellose Sitzfläche.
»Nein«, rief Ellen. »Das glaube ich jetzt nicht!«
»Wie hat sie das denn bloß so schnell geschafft?«, fragte Saskia, die gerade ihr schwarzes Kosmetiktäschchen wieder in ihre Handtasche packte. Sie stand auf, um sich das Wunder ebenfalls von Nahem anzuschauen.
Während sich Ellen und Saskia über den Sessel beugten und ungläubig nach Spuren des Kirschsafts in dem Wildleder suchten, erklärte ich ihnen, dass Gool ein selbst erfundenes Zaubermittel angewendet hatte, das imstande war, alle Flecken natürlichen Ursprungs zu eliminieren.
»Großartig«, sagte Ellen.
»Wirklich toll«, sagte Saskia und erhob sich wieder, wobei sie sich auf der Lehne abstützte.
Mit schreckgeweiteten Augen und von Panik ergriffen wisperte ich: »Saskia!«
»Was ist?«, fragte sie nichtsahnend.
Ich zeigte mit zitternder Hand auf die Lehne. Dort prangten gleich mehrere neue rote Flecken. Rot wie Saskias Nagellack.
26
» AAAAAAAHHHHHHH !«, schrie ich. Ich rannte aus dem Haus, um Gools Anwesen nicht zusammenzubrüllen.
»Es tut mir leid«, rief Saskia, die hinter mir herlief. »Oh Mann! Ich dachte, der Lack wäre schon trocken!«
»Das kann doch wohl nicht wahr sein«, kreischte ich völlig außer mir. Meine Stimme überschlug sich. »Hast du sie noch alle? Und wie kommst du darauf, mir so in den Rücken zu fallen! Redest immer von Vertrauen, und dann machst du so was? Mit der alten Dame …« Mein Geschrei endete abrupt. »Sorry«, sagte ich matt. »Das war wohl nicht für dich bestimmt.«
Ich ging ein paar Meter weiter und versuchte, mich zu beruhigen. Aber ich konnte nicht. Ich platzte! Vor Wut! Und Enttäuschung. Natürlich nicht wegen des Sessels – oder nicht nur deswegen. Vor allem wegen Jens.
»Aaahhhh«, brüllte ich wieder. »So eine verdammte Riesenscheiße!«
»Moni«, sagte Ellen sanft. »Brüll nicht so, sonst ruft gleich noch einer die Polizei.«
»So, und jetzt sagst du endlich, was los ist«, kommandierte Saskia.
Ich warf meinen Freundinnen einen resignierten Blick zu, und dann berichtete ich stockend, was die Frau in dem roten Toyota mir erzählt hatte.
Sie war die Enkelin einer gewissen Lore Fresen. Und dieser Frau sollte Jens zweitausend Euro abgeknöpft haben. Das fand die Enkelin heraus, als sie aus den Semesterferien nach Hause kam. Jens hatte Frau Fresen über eine Kontaktanzeige angeschrieben, sich eine Zeit lang regelmäßig mit ihr getroffen und sich als angeblicher Freund eingeschleimt und ihr dann vorgejammert, dass er Geld bräuchte, was die alte Frau ihm dummerweise auch gab. Danach tauchte er nicht mehr bei ihr auf, und Frau Fresen war total fertig, weil er ihr einziger Freund gewesen war, wie sie dachte. Aber sich Geld schenken zu lassen war ja alleine noch kein Verbrechen. Deswegen wollte die Enkelin mehr über Jens rausfinden und stellte
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