Ordnung ist nur das halbe Leben
sagte ich, als mein Vater den Hörer abgenommen hatte.
»Was ist jetzt schon wieder, Puna? Hast du einen Tortenanschlag auf den Bundespräsidenten verübt?«, grölte er.
Ich ließ ihn über seinen blöden Witz lachen, dann fragte ich kleinlaut: »Könnt ihr mich abholen kommen?«
30
Nach dem Anruf legte ich das Gesicht in die Hände und stöhnte.
»Schauen Sie aufs Meer«, sagte Per Hansen mit seiner bedächtigen Stimme. »Das beruhigt.«
Der Weg von der Polizeistation zum Strand war nicht weit und führte durch die Fußgängerzone. Ich hatte meine Schuhe aus dem Auto holen dürfen, und nun drückte mich ein Steinchen in einem meiner Schuhe unter dem Ballen. Ich hockte mich hin, um ihn herauszuholen. Als ich gerade dabei war, mir wieder die Schnürsenkel zuzubinden, hörte ich ein Klimpern, und eine Euromünze rollte mir vor die Füße. Verdutzt schaute ich auf. Eine junge Frau steckte ihr Portemonnaie zurück in die Tasche und lächelte mir aufmunternd zu.
Heiliger Zitronenstrauch! Eines war klar. Ich musste ganz dringend diese Hippieklamotten loswerden! Meinen Eltern könnte ich so nicht unter die Augen treten, sie würden glatt denken, ich wäre endlich zur Besinnung gekommen. Zum Glück für mein schmales Budget fand ich neben verschiedenen Designershops auch einen New Yorker. Dort konnte ich endlich wieder einen normalen Menschen aus mir machen.
Um bei der Verkäuferin trotz meiner unmöglichen Aufmachung einen seriösen Eindruck zu machen, grüßte ich freundlich mit meiner besten Bewerbungsgesprächstimme: »Einen wunderschönen guten Tag. Ich wollte mich einmal umsehen.«
Die klapperdürre Verkäuferin blähte einmal die schmalen Nüstern und nahm sofort die Witterung auf. War ja klar. Gestelzt daherzureden nutzte gar nichts. Mein Aussehen hätte auch noch das Misstrauen der verschnarchtesten Einzelhandelskauffrau erregt, da war Revierverteidigung ein natürlicher Instinkt. Die Blusen, die sie gerade sortierte, ließ sie sofort fallen und folgte meiner Fährte. Während ich den Sonderangebotsständer durchforstete, tat sie so, als ob sie am Regal nebenan was zu ordnen hätte, und beobachtete mich aus den Augenwinkeln. Ich überlegte gerade, ob ich ihr erklären sollte, dass ich eine gut bezahlte Wertpapierspezialistin war, die nur durch einen bizarren Zufall in diesem peinlichen Outfit steckte, aber dann erhaschte ich einen Blick auf mein Spiegelbild.
Schock! Meine Haare sahen aus wie ein Strohhaufen, den ein fetter Hahn verwüstet hatte. Als ich mit den Fingern versuchte, sie zu kämmen, merkte ich, wie strohig und verfilzt sie waren.
»Salzwasser ist ja wohl nicht gerade ein Conditioner«, sagte ich laut, um der Verkäuferin zu beweisen, dass ich über Pflegeprodukte bestens informiert war, aber sie faltete nur mit stierem Blick zum dritten Mal ein T-Shirt.
Na gut, dachte ich. Dann würde ich jetzt eben meine zweihundert Euro investieren, um meine Würde zurückzukaufen. Ich verließ die Sonderangebotsecke und schlenderte herum, argwöhnisch verfolgt von der Verkäuferin, die sich mit einem Telefon bewaffnet hatte, falls sie die Polizei rufen musste. Schließlich kaufte ich die teuerste Röhrenjeans des Ladens, ein T-Shirt mit dem Stars-and-Stripes-Banner und ein schwarz-weißes Bandana , mit dem ich mein Frisurendesaster bedecken konnte. Das war zwar nicht direkt ein Business-Outfit, aber für einen Strandurlaub mehr als in Ordnung.
»Ich lass das direkt an«, sagte ich zu der Verkäuferin, die vor der Umkleidekabine lauerte.
Sie scannte die Preisschilder ein. »Einhundertsiebenundachtzig Euro«, sagte sie mit zusammengekniffenem Mund, als ob sie einen Bazillenübergriff fürchtete, und sah mich herausfordernd an.
Lässig legte ich ihr die beiden Hunderteuroscheine hin. Dann musste ich doch schlucken. Es durfte nichts mehr schiefgehen, sonst wäre ich geliefert. Das Blödeste aber war, dass sie kein bisschen beeindruckt war, sondern geschlagene vier Minuten verwendete, um die Scheine theatralisch auf ihre Echtheit zu überprüfen. Du meine Güte! Was musste ich denn noch alles anstellen, um ihr zu zeigen, dass ihr erster Eindruck von mir total falsch gewesen war!
»Haben Sie einen Mülleimer?«, fragte ich und zeigte angewidert auf die ollen Klamotten meiner Mutter. »Für das da.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Na gut«, sagte ich. »Dann entsorge ich es eben draußen.«
Die Verkäuferin sah aus, als ob sie sich sofort die Hände waschen würde, wenn ich draußen wäre. Also ehrlich. Die
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