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Ordnung ist nur das halbe Leben

Ordnung ist nur das halbe Leben

Titel: Ordnung ist nur das halbe Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Flint
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Klamotten meiner Mutter stopfte ich noch vor der Fensterscheibe des New Yorker in den Mülleimer. Ich hatte zwar kurz ein schlechtes Gewissen, weil sie meiner Mutter gehörten, aber ich hatte das dringende Bedürfnis, mich maximal davon zu distanzieren. Die Aussicht, heute noch meinen Eltern gegenübertreten zu müssen, war schon deprimierend genug. Bei einem Bäcker kaufte ich mir ein Brötchen und eine Flasche Wasser, und dann lief ich eine Ewigkeit am Strand entlang, meine Schuhe in der Hand.
    Per Jansen hatte recht: Aufs Meer schauen beruhigte. Es war so – weit. Für jemanden, der sonst fast den ganzen Tag auf einen Monitor glotzt und das beruhigendste Seherlebnis der Bildschirmschoner war, war das schon ein erhebendes Gefühl, bis zum Horizont schauen zu können und den Himmel zu sehen. Also den echten und nicht den auf meinem Desktophintergrund. Dazu das kribbelnde Gefühl des weichen Sands unter den nackten Fußsohlen und den Wind im Gesicht. Daran könnte ich mich glatt gewöhnen.
    Ich musste plötzlich grinsen. Ich war auf Sylt! Was für ein Irrsinn! In den letzten vier Wochen, in denen Jens nicht da gewesen war, hatte ich mehr erlebt als in acht Jahren zuvor. Als die Sonne wie eine glühende Orange im Meer versank, vergaß ich sogar für einen Augenblick, was mich noch am Ende dieses ereignisreichen Tages erwartete.
    Per Hansen hatte mittlerweile Feierabend. Stattdessen schob eine junge Polizistin Wache, die eifrig aufsprang, als ich reinkam. Sie war schon informiert worden und ließ mich zu meinem Bus. Da ich nicht wusste, wann meine Eltern genau auftauchen würden, nahm ich die Kohlestifte und den Skizzenblock aus der Arbeitskiste meines Vaters und krickelte ein bisschen herum, während ich mir einen Plan zurechtlegte. Ich würde meinen Eltern ein maximal schlechtes Gewissen machen wegen des Bonsais, dann würden sie mich vielleicht nicht auslachen wegen des Kirschflecks auf dem Sessel. Ich würde die Reise nach Sylt als total geplante Aktion verkaufen, dabei aber Saskia und vor allem Lennart rauslassen, weil das bestimmt komisch rüberkommen würde. Und von Jens würde ich gar nicht sprechen. Erstens wusste ich nicht genau, was ich ihnen überhaupt erzählen sollte, zweitens ging es sie sowieso nichts an.
    Aber wie immer, wenn meine Eltern irgendwo auftauchten, ging auch diesmal alles schief. Ich hatte ungefähr ein Dutzend Möwen gezeichnet, die jeder Windschnittigkeit entbehrten und unglaubliche Klumpfüße hatten, da hörte ich plötzlich ein Bellen. Banjo!
    »Hey«, rief ich erfreut. Dann entdeckte ich mit Schrecken, in wessen Begleitung er gekommen war. Meine Eltern waren nämlich nicht alleine.
    »Tante Marianne«, stammelte ich fassungslos und taumelte aus dem Wagen.
    »Ah, da ist ja mein Mädchen!« Tante Marianne drückte mich fest an sich. »Geht es dir gut, mein Kind? Hat man dich anständig behandelt?«
    »Puna, erklär deiner Tante, dass das hier nicht Guantanamo Bay ist«, sagte meine Mutter spitz. Sie sah mit Stirnband, weinroter Pannesamthose, gelbem T-Shirt und Birkenstock-Sandalen aus, als ob sie zu einem Kongress veganer Urköstler unterwegs war.
    Marianne ließ mich los. »Moni, sag deiner Mutter, sie soll ihre Belehrungen für sich behalten.«
    Ich warf meinem Vater einen fragenden Blick zu. »Seit Bremen reden sie nicht mehr miteinander«, informierte er mich in seiner üblichen übertriebenen Lautstärke. »Zum Glück kann ich autogenes Training, sonst wäre ich längst verrückt geworden.«
    »Manfred, ich sage es dir jetzt noch einmal: Seemannslieder zu grölen ist kein autogenes Training«, zischte Tante Marianne.
    »Es hat mich aber entspannt«, hielt mein Vater dagegen.
    »Was machst du hier, Tante Marianne?«, fragte ich so harmlos wie möglich.
    »Deine Mutter wollte sich mein Auto leihen«, antwortete sie, »aber als ich gehört habe, dass du in Schwierigkeiten steckst, konnte ich die beiden nicht alleine fahren lassen.« Sie streichelte meine Schulter. »Ich lasse doch mein Mädchen nicht im Stich, vor allem nicht so kurz vor der Hochzeit.«
    Die Hochzeit. Meine Tante. Ihre Vorbereitungen. Jens. Die alte Dame. Lennart. Die Hochzeit. Meine Tante. Mein Hirn meldete akute Überlastung, mein Magen verknotete sich.
    »Puna, jetzt sag deiner Tante, sie soll endlich aufhören, dich mein Mädchen zu nennen«, motzte meine Mutter. »Wenn schon, bist du mein Mädchen.«
    »Oh mein Gott!«, stöhnte Marianne. »Ständig einen auf alternativ und unangepasst machen und dann wegen

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