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Ordnung ist nur das halbe Leben

Ordnung ist nur das halbe Leben

Titel: Ordnung ist nur das halbe Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Flint
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ich tagsüber die Gesellschaft der gruseligen Kunstgegenstände vorzog und mich mit meinen Hausaufgaben und meinen Büchern ins Gästezimmer unters Dach zurückzog. Als Veeti endlich weg war, unterzog ich mein Zimmer einer gnadenlosen Grundreinigung, wofür ich bei meiner Tante Marianne einen Dampfreiniger und diverse andere Spezialgeräte auslieh. Trotzdem dauerte es sehr lange, bis ich wieder in meinem Bett schlafen konnte, ohne an Veetis Fleischwurst zu denken.
    Meine Eltern aber gingen seit dieser Zeit regelmäßig in die Sauna. Und ein Jahr später fuhren sie mit uns nach Korsika, um einmal Urlaub im Zelt auszuprobieren, wie sie uns sagten. Wobei sie sich einen kleinen, luxuriösen Wohnwagen mit Doppelbett mieteten und meinen Bruder und mich ins Zelt verfrachteten.
    Leider hatte sie vergessen, ein weiteres Detail zu erwähnen: Der Campingplatz war ein FKK -Gelände. Und natürlich gestatteten mir meine Eltern dort ebenfalls keine »Prüderie«. Drei Wochen lang schmorte ich im Hitzestau des Zeltes, weil draußen allerlei Heimsuchungen auf mich warteten, wie zum Beispiel mein dauergrinsender elfjähriger Bruder, der sich unter all den Nackedeis pudelwohl fühlte und jede Stunde in der Campingdusche verschwand.
    Ein weiterer Meilenstein in Sachen Abnabelung war erreicht. Ich beschloss, mit diesen Exhibitionisten niemals wieder in den Urlaub zu fahren, sondern mich stattdessen für katholische Freizeiten zu begeistern. Eine kluge Entscheidung. Auf der katholischen Freizeit im folgenden Jahr lernte ich einen Jungen kennen. Er hieß Lorenz. Ich mochte ihn. Wir konnten uns gut unterhalten. Die körperliche Annäherung war bis zum Stadium Ich-bin-aufgeregt-weil-er-in-seinem-schönen-Strickpulli-neben-mir-steht gediehen, und vielleicht würde ich an diesem Tag nach den Ferien, an dem er mich besuchen kam, mit ihm Händchen halten. Das hatte ich mir jedenfalls so ausgemalt. Mein Herz klopfte, als ich ihm die Tür öffnete. Ich wollte ihn unbemerkt in mein Zimmer schleusen, als plötzlich mein Vater auftauchte.
    »Hallo«, sagte er, »ich bin der Manni.«
    Meine Eltern bestanden bei all meinen Freunden drauf, dass sie sie duzten und Manni und Trautchen nannten. Fand ich ja völlig bescheuert, und ich schämte mich für diese Respektlosigkeit, die sie meinen Freunden gegenüber an den Tag legten.
    »Guten Tag, ich bin Lorenz«, sagte Lorenz artig.
    »Wie schön, dass du da bist«, sagte mein Vater freundlich und fügte hinzu: »Wollt ihr Kondome haben?«
    Ich war vierzehn und wollte sterben vor Scham. Das Einzige aber, was nach dieser Aktion tot war, war die Beziehung zu Lorenz, der mit seinem braunen Pullunder ganz schnell das Weite gesucht hatte.
    Dieser Vorfall mit Lorenz war lange Zeit die unangefochtene Nummer eins der Blamagen mit meinen Eltern gewesen. Doch dann hatten sie es geschafft, sich – und vor allem mich – nicht nur lokal beschränkt, sondern gleich nationenweit lächerlich zu machen. Sie hatten bei einer RTL 2-Reportage mitgewirkt. Zum Thema Swingerclubs.
    Zum ersten Mal dabei: Waltraud und Manfred Steckelbach aus Köln , stand in unschuldigen weißen Lettern auf dem roten Band, das sich über die entblößte Leistengegend meiner Eltern spannte. Die nackten Brüste meiner Mutter, die sich durch ein Geflecht aus schwarzen Lederriemen quetschten, erinnerten an Gefrierbeutel mit halb gefrorener Kartoffelsuppe. Die Schultern meines Vaters bogen sich schlaff nach unten und den Ansatz zur Hängebrust konnte er auch mit seinem sorglosen Grinsen nicht verbergen. Nach dem Interview sah man sie durch die Räume streifen, wo auf diversen Liegewiesen verschiedene Männlein und Weiblein verpixelte Unzucht betrieben. Diese lüsterne Nacktheit meiner Eltern im Licht der Kamera war schockierend. Wie in Gottes Namen kam man, wenn man mit einem Hirn gesegnet war, auf die Idee, sich mit Ende fünfzig nackt ins Fernsehen zu begeben und zu erzählen, dass man sein Liebesleben aufpeppen möchte, indem man andere welke Körper begattet? Wie ?
    Und wieso hatten meine Eltern mir gesagt, ich dürfe ihren Fernsehauftritt nicht verpassen?
    Und wieso hatte ich Idiot darauf gehört und mich wirklich aufs Sofa gesetzt und diesen Horrorfilm angeschaut? Schauriger als Das Omen , grässlicher als Das Kettensägenmassaker und mit weitem Abstand gruseliger als Das Schweigen der Lämmer .
    Erst als meine Eltern lüstern giggelnd in einer Liebesgrotte verschwunden waren, hatte ich die Kraft aufgebracht, den Fernseher auszuschalten.
    »Mein

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