Ordnung ist nur das halbe Leben
immer eine Schürze beim Kochen und besaß die gigantischste Sammlung an Mikrofaser-Putztüchern, die ich jemals gesehen hatte. Jens’ Vater, Hermann, liebte Folianten und Bildbände über exotische Tiere und spektakuläre Landschaften, aber er und seine Frau verbrachten jeden Urlaub in derselben Pension in Husum. Es gab wenige Gesprächsthemen, die sie interessierten, und ich hatte auch noch nie mitbekommen, dass sie zu irgendwas eine Meinung hatten. Eigentlich redeten sie sowieso fast überhaupt nicht, und bei den gemeinsamen Mahlzeiten war es so still, dass mein eigenes Kauen mir so laut und dröhnend vorkam wie ein Presslufthammer.
Aber sie liebten ihren Sohn bedingungslos und waren sehr stolz auf ihn. Besonders zu seiner Mutter hatte Jens ein enges Verhältnis. Sie hätte gerne noch mehr Kinder gehabt, aber das war aus mir unbekannten Gründen, deren näheren Ursprung ich nicht zu erfragen wagte, nicht möglich gewesen. So wurde Jens rundum verhätschelt. Wenn wir bei ihnen in Leverkusen zu Besuch waren, putzte sie zwischendurch schnell mal seine Schuhe, schenkte ihm neue Hemden in Hellgrau und Weiß und gab uns eine Kühltasche voll eingefrorener Rouladen und Gulasch mit, dem Lieblingsessen von Jens. Dann sagte Jens, dass er großes Glück habe mit mir, weil ich auch gut kochen könne, aber dass gegen die Rouladen seiner Mutter natürlich nichts ankommen würde. Und dann strahlte die kleine Frau mit den weißen Haaren und strich sich über die blassrosa Bluse, als ob es da irgendetwas zu glätten gäbe. Aber zum Glück mochten sie mich auch.
Zumindest bis zur Verlobungsfeier hatten sie mich gemocht. Besonders mit Frau Hill verstand ich mich gut. Ich ließ mir von ihr zeigen, wie man vom Stoffbeutel bis zum Jackett alles richtig bügelte und wie man Bratensoße machte. Ich siezte sie, obwohl ich gehofft hatte, dass sie mir zur Verlobung vielleicht das Du anbieten würden. Daraus wurde nichts, und ich befürchte, dass daran wieder mal meine Eltern schuld waren. Denn ausgerechnet am Tag vor unserer Verlobungsfeier hatten sie ihren Fernsehauftritt.
Es gibt Dinge, über die macht man sich null Gedanken, bis man plötzlich selbst betroffen ist. Zum Beispiel hatte ich nie darüber nachgedacht, dass Leute, die sich in Fernsehshows blamierten, auch Familien hatten, die sie gleich mit in den Abgrund zogen. So erwischte das Erscheinen meiner Eltern im TV mich völlig kalt und ließ mich in den Treibsand der Scham versinken.
Bevor ich aber zu dem Fernsehauftritt und dessen Folgen im Detail komme, muss ich zum besseren Verständnis noch etwas weiter ausholen.
Als ich zwölf Jahre alt war, überfielen mich meine Eltern eines Nachmittags mit der Ankündigung, dass wir einen Austauschschüler bekommen würden. Die Freundin einer Freundin meiner Mutter war Schulleiterin in einem Gymnasium in der Kölner Innenstadt und suchte händeringend eine Ersatzfamilie für Veeti. Veeti kam aus Finnland, genauer aus Vaasa. Aus irgendeinem Grund hatte es mit seiner eigentlichen Austauschfamilie nicht geklappt, und meine Mutter, leichtfertig wie immer, sagte Ja, ohne das mit irgendwem von uns abzusprechen.
Am Nachmittag stand Veeti vor der Tür. Weil das Zimmer von meinem Bruder aussah wie ein Saustall, wurde beschlossen, dass Veeti für die zwei Wochen mein Zimmer bekam und ich ausquartiert wurde. Ich hatte die Auswahl zwischen dem Büro meiner Mutter, dem Gästezimmer unter dem Dach und dem Saustall meines Bruders. Im Büro meiner Mutter gab es ein Schlafsofa, ein Hasengehege und ungefähr drei Trilliarden Bücher, die meinen bescheidenen Statikkenntnissen zufolge in naher Zukunft die Regale zum Einstürzen bringen und Zorro, unserem Häschen, ein literarisch wertvolles Ende bereiten würden. Da würde ich kein Auge zumachen können. Im Gästezimmer bunkerten meine Eltern die Souvenirs, für die sie im Rest des Hauses noch keinen adäquaten Platz gefunden hatten, was auch daran lag, dass einige von ihnen als Schnäppchen auf hiesigen Flohmärkten oder in Ramschläden gekauft worden waren und ihrem Einsatz als Requisite für theatralische Reiseberichte noch harrten. Dafür hätten meine Eltern aber erst mal in die Länder reisen müssen, wo das Zeug ursprünglich herkam. Jedenfalls fühlte ich mich zwischen nigerianischen Dämonenmasken, hölzernen Geisterköpfen aus Papua-Neuguinea und frivolen Gottheiten aus Mittelamerika nicht recht wohl, außerdem war das Badezimmer so weit weg. Und so gab es nur eine Alternative: das Zimmer
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