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Ordnung ist nur das halbe Leben

Ordnung ist nur das halbe Leben

Titel: Ordnung ist nur das halbe Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Flint
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nicht für ihr Leben rechtfertigen würde.
    »Du gibst es also zu«, hatte daraufhin meine Mutter geschrien, aber Oma Hildegard hatte nur »Tsess!« gemacht und gesagt, sie würde gar nichts zugeben, und Tante Marianne hatte eingeworfen, dass meine Mutter das Thema doch nun endlich mal begraben sollte. Aber das sah meine Mutter gar nicht ein, wovon man sich auf meiner Verlobungsfeier wieder live und in Farbe überzeugen konnte.
    Bumms, da war es wieder, das fiese Wort, das wie kein anderes dazu geeignet war, jede schöne Stimmung kaputt zu machen. Nazi. Aber Oma Hildegard ließ sich gar nicht beeindrucken.
    »Lass dir mal was Neues einfallen, Waltraud«, gab sie ihrer Tochter spitz zurück. »Das ist nämlich schon siebzig Jahre her.«
    »Na und? So etwas sollte man nie vergessen, nicht wahr?«
    »Genauso wenig wie man einige deiner Jugendsünden nicht vergessen sollte, nicht wahr ?«
    »Die kannst du meinetwegen alle erzählen, Mutter«, sagte meine Mutter triumphierend. »Ich habe nämlich nichts zu verbergen.«
    »Oh ja, das habe ich gestern im Fernsehen gesehen.« Oma Hildegard verzog angewidert den Mund.
    Meine Mutter schnaubte wie ein Pferd und wurde tatsächlich ein bisschen rot, vermutlich aber nur aus Wut. So was wie Scham kannte sie ja gar nicht.
    Ich verkürzte das Duell und tauschte einfach die Plätze meiner Eltern mit denen meiner Tante Marianne und Onkel Bernd. Das hätte ich eigentlich sowieso von vornherein am liebsten gehabt, aber ich wollte Jens’ Eltern nicht so deutlich zeigen, dass ich mit meinen Eltern Differenzen hatte. Ich dachte naiverweise, wir könnten bei meiner Verlobung einmal eine harmonische Familie spielen und meinen zukünftigen Schwiegereltern nicht gleich das ganze Programm von Zwietracht und Wahnsinn bieten, das wir auf Lager hatten. Wie dumm von mir! Aber das hatte ich nun davon.
    Verschnupft beobachteten Jens’ Eltern, wie ich die Tischkärtchen austauschte. Ihre Wangen waren noch rosiger als sonst. Hermann Hills linkes Lid hing noch ein Stückchen weiter runter auf Halbmast. Trauerbeflaggung.
    Astrid Hill schickte mich aus der Küche, als ich ihr helfen wollte, und murmelte: »Gehen Sie sich amüsieren.« Bei amüsieren stockte sie und schaute schnell wieder auf ihre Kräuterbutter.
    Sie konnten mir nicht mehr in die Augen sehen. Den ganzen Abend nicht. Beim Essen schauten sie auf ihre Teller, als erwarteten sie, dort dem Sinn des Lebens auf den Grund gehen zu können. Die Stimmung an unserem Tisch war gelinde gesagt unterkühlt, auch wenn Tante Marianne und Onkel Bernd sich redlich um belanglose Konversation bemühten. Meine Eltern saßen bei meiner Kusine Anja und ihrem Daniel und hatten dort zu meinem Entsetzen und entgegen jedem Gesetz von Anstand und Sitte offensichtlich riesigen Spaß. Sie lachten so laut, dass wir noch nicht mal verstehen konnten, über was sie sich eigentlich so amüsierten. Diese Störenfriede! Verdarben uns unsere Verlobungsfeier und waren dann auch noch bester Stimmung!
    Und als wäre es noch nicht genug gewesen, sich auf den bundesweiten Mattscheiben als liebestolle Grabbelware zu präsentieren, bestanden sie darauf, sich auch auf dieser Festivität zu blamieren. Sie tanzten später wie zwei hormonumnachtete Teenies zu Hot in Here von Nelly, während ich mir von den mittlerweile durch alkoholische Getränke enthemmten Gästen einen blödsinnigen Spruch nach dem anderen reinziehen musste. Die meisten beinhalteten den Hinweis, dass ich meiner Mutter ziemlich ähnlich sähe, was ich in dem Zusammenhang mit ihrem Fernsehauftritt natürlich am allerwenigsten hören wollte, und dümmliche Wortspiele, die so oder so ähnlich abliefen:
    »Weißt du, Moni, was ich mit solch unerzogenen Eltern machen würde? Ich würde sie in einen S winger sperren.«
    »Was sagt denn Jens dazu, dass seine Schwiegereltern in Wirklichkeit Swinger eltern sind?«
    »Hey, Mädels, Moni ist es peinlich, also hört mal auf, große Reden zu swingen .«
    Ich ärgerte mich. Über meine Eltern, die mir den zweitschönsten Tag in meinem Leben mit den Bildern ihrer nun prominenten nackten Leiber, die sich mir in den Kopf gebrannt hatten, verpatzt hatten. Und darüber, dass sie trotzdem mit sich selbst im Reinen waren. Sie bereuten gar nichts! Und das war ja wohl der Gipfel der Unverschämtheit!
    Meine Kusine Anja sagte, es seien doch ihre Körper und nicht meiner; warum ich mich überhaupt aufregen würde? Meine Freundin Ellen sagte, die würden halt spinnen, und ich solle einfach

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