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Ordnung ist nur das halbe Leben

Ordnung ist nur das halbe Leben

Titel: Ordnung ist nur das halbe Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Flint
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Gott«, flüsterte ich und kämpfte mit dem Brechreiz. »Was ist nur mit ihnen los?«
    Jens hatte die Reportage ebenfalls in Schockstarre verfolgt. Doch jetzt löste er sich aus seiner regungslosen Haltung und fing an zu schreien: »Die sind ja wohl total verrückt geworden!«
    »Völlig wahnsinnig!«, bekräftigte ich.
    »Wie können die denn so was machen?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Denken die eigentlich jemals an andere Menschen?«
    Ich schüttelte nur den Kopf. »Was machen wir denn jetzt?«, flüsterte ich panisch.
    In diesem Moment war ich mir sicher, dass ich erstens nie wieder Sex würde haben können, zweitens meine Eltern dringend in psychiatrische Behandlung geben und ich drittens meine Verlobungsfeier absagen musste.
    Aber dann hätte ich den achtunddreißig Gästen ja einen Grund für die Absage nennen müssen, und da ich niemals die Wahrheit gesagt hätte, hätte jeder gedacht, Jens und ich würden uns trennen oder hätten Probleme oder sonst was Absurdes. Also kam das nicht infrage.
    Jens schnaubte. »Wir beten, dass von unseren Gästen niemand diese Sendung gesehen hat. Und vor allem, dass meine Eltern niemals etwas davon erfahren. Die trifft der Schlag!«
    Sie erfuhren davon. Denn meine Eltern brachten es tatsächlich fertig, das Thema bei unserer Verlobungsfeier von selbst anzusprechen. Während ich mich an ihrer Stelle bei einem ukrainischen Schönheitschirurgen unters Messer gelegt hätte, und mit einer Fratze getarnt ausgewandert und nie, nie, nie wieder zurückgekehrt wäre, redeten sie auch noch offen darüber!
    »Es war wirklich eine schöne Abwechslung!«, posaunte meine Mutter herum, als ob sie japanisch essen gewesen wären statt wie sonst immer chinesisch. »Wirklich, das kann ich jedem nur empfehlen. Es belebt Körper und Geist!« Sie lachte ordinär und zwinkerte mir zu.
    Und in diesem Moment durchschaute ich ihr Manöver. Der Swingerclub-Auftritt war ihre Antwort auf meine Frage gewesen, ob sie im Leben was verpasst hätte, weil sie ihren ersten Freund geheiratet hatte. Sie hatte mir eine deutliche Botschaft gesandt, und die hieß: Aus dem Gefängnis der Monogamie kann man nur auf abenteuerlichen Fluchtwegen entkommen.
    Auf der Stelle machte ich mich auf die Suche nach meinem Verlobten. An Jens’ angewiderter Miene konnte ich genau sehen, wie er sich fühlte. Jede seiner Bewegungen geriet an diesem Abend steif, und seine Stimme klang hohl. Er schämte sich. Und ich schämte mich doppelt. Für den Auftritt meiner Eltern und dafür, dass meine Familie Jens so in Verlegenheit brachte.
    Ein heftiger Anfall zärtlicher Liebe wallte in mir auf, als ich ihn betrachtete. Niemals würde ich es bereuen, mein ganzes Leben monogam zu verbringen. Und meine Eltern würden mich mit keinem noch so peinlichen Auftritt der Welt davon abbringen können, ihn zu heiraten! Nur die Feier, die hatten sie mir gründlich verdorben. Anstatt dass wir uns über den wunderschönen Anlass oder meinen neuen Job unterhielten, war der Auftritt meiner Eltern das Gesprächsthema!
    Tante Marianne war entsetzt. Oma Hildegard weigerte sich, mit »diesen Sittenstrolchen« an einem Tisch zu sitzen, was die ganze Sitzordnung durcheinander und die harmonische Atmosphäre endgültig ins Wanken brachte. Denn meine Mutter ließ es nicht auf sich beruhen, sondern schoss sofort zurück.
    »Zum Glück«, zischte sie pikiert. »Dann brauche ich wenigstens nicht mit dem Naziliebchen an einem Tisch zu sitzen.«
    »Mama, nicht!«, stöhnte ich genervt. »Nicht schon wieder.«
    Die Vergangenheit meiner Großeltern war von jeher das bevorzugte Thema meiner Mutter, wenn sie auch nur den Hauch einer Kritik von meiner Oma zu hören bekam. Opa Johann, der lange vor meiner Geburt gestorben war, hatte sich in der Hitlerjugend hervorgetan und war mit achtzehn der SA beigetreten, verlor aber kurz darauf durch einen Unfall Daumen, Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand, was zu seinem großen Bedauern eine weitere Nazikarriere verhinderte. Und Oma Hildegard hatte 1942 ihrer Begeisterung für den Führer Ausdruck verliehen, indem sie ihm einen Verehrerbrief in doppelter Ausfertigung geschrieben hatte. Meine Mutter hatte den Durchschlag irgendwann unter allem möglichen Gerümpel auf dem Speicher gefunden und benutzte ihn seitdem als Totschlagargument in jedem Streit mit ihrer Mutter. Oma Hildegard ging für gewöhnlich gar nicht darauf ein, sondern zog nur ihr essigsaures Gesicht. Nur einmal hatte sie gesagt, dass sie sich vor ihrer Tochter

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