Ordnung ist nur das halbe Leben
dem Anja ausgelassen mit ihren Gästen lachte, ihren Mann nicht losließ und einfach beneidenswert unbeschwert wirkte. »Ich freue mich schon so auf unsere Hochzeit, mein Schatz.«
»Aber diese Tätowierungen!«, sagte er abgelenkt. »Meine Güte, die sehen schlimm aus.«
»Aber zu ihr passen sie – irgendwie.«
»Meinst du, weil sie insgesamt wirkt wie eine Asoziale?«, fragte Jens ohne Ironie.
»Nein, natürlich nicht «, sagte ich schnell. »Es passt halt zu ihrem Stil, mit den 50er-Jahre-Kleidern und so. Aber ich würde so natürlich nie rumlaufen«, schob ich schnell hinterher.
Ein mir unbekannter Mann quetschte sich durch die Menge bis zu uns durch. Er war ungefähr im Alter meiner Eltern und erinnerte mich mit seiner großen, gebogenen Nase an einen Tukan.
»Sind Sie Moni Steckelbach?« Sein Tonfall klang wie der eines pflichtbewussten Gesetzeshüters, und mir schoss Adrenalin ins Blut. Hatte ich schon wieder irgendetwas falsch gemacht? Oder war das vielleicht ein Scherge von Gunther Bogert, der mich gleich unter einem Vorwand verhaften lassen würde, wobei man ein Pfund Heroin in meiner Tasche finden würde?
»Ja«, sagte ich alarmiert und griff nach Jens’ Hand.
»Aha!«, rief der Tukan, und der Mund unter seiner Schnabelnase verzog sich zu einem Grinsen. »Dann bin ich ja an der richtigen Adresse. Ich bin Uli Schumann, der frischgebackene Schwiegervater von Anja!«
»Ach so«, rief ich erleichtert. »Herzlichen Glückwunsch. Ich bin die Kusine der Braut. Und das ist mein Verlobter Jens.«
Uli nickte Jens nur kurz zu, um sich dann vertraulich näher zu mir zu beugen. »Letztens sagte mir mein Bankberater, ich solle Platin kaufen. Platin sei das neue Gold. Was meint die Fachfrau dazu? Kaufen oder nicht?«
»Ahh! Okay!« Ein befreites Lachen bahnte sich den Weg aus meiner Kehle und ließ mich dümmlich gackern. Dann wurde ich schnell wieder ernst. Nach meinem kleinen Ausflug in den Wahnsinn der selbst gemachten Panik packte mich der Ehrgeiz, mich als professionelle Vermögensverwalterin zu präsentieren. Es dauerte nicht lange, da kamen noch zwei weitere Männer hinzu, die sich meinen Vortrag über die Entwicklung des Platinpreises anhörten. Kaum war ich mit Platin fertig, ging es weiter mit Öl, dann kam noch eine Frau dazu und fragte mich nach der BASF -Aktie.
»Das ist nicht mein Fachgebiet. Aber mal sehen …« Ich holte mein Smartphone raus, ging auf die Seite wallstreet-online.de und checkte den Chartverlauf der Aktie.
»Deinen Laptop hast du nicht dabei?«, fragte Jens, der immer noch neben mir stand. Weil ich gerade so in Fahrt war, überhörte ich seinen angesäuerten Unterton.
»Du meinst mein hervorragendes, wunderbares neues MacBook?«, fragte ich lächelnd. »Nee, heute nicht. Passte nicht in meine Clutch.« Ich schwenkte meine kleine Handtasche, und meine Zuhörer lachten.
»Aber umso besser, dass es Smartphones gibt, nicht wahr?«, warf Uli, der Tukan, ein.
»Ich hole mir noch was zu trinken«, murmelte Jens und drehte sich weg.
Als es nach einer Stunde zum Essen ging, traf ich ihn wieder. »Puh«, sagte ich. Mir rauchte noch der Kopf von meinem ungewollten Ausflug in die Welt der Börsen. »Da habe ich mal eben ein paar Menschen glücklich gemacht.«
»Herzlichen Glückwunsch«, brummte er.
»Bist du sauer?«
»Nein. Natürlich nicht. So ist das eben, wenn man mit einer erfolgreichen Vermögensverwalterin zusammen ist.«
»Na, zum Glück bin ich keine erfolgreiche Ärztin«, scherzte ich. »Sonst hätte ich mir jetzt vielleicht Hühneraugen oder Ausschläge angucken müssen.«
Jens lachte nicht.
Desaster Nummer zwei ereignete sich nach dem Essen. Der Tanz wurde eröffnet von einer Jazzband, die mit scheppernden Trompeten Lindy-Hop-Musik spielte, weil Anja und Daniel sich vor dreieinhalb Jahren bei einer solchen Tanzveranstaltung kennengelernt hatten. Lindy Hop war so eine Art jazziger Rock ’n’ Roll, und die beiden legten sofort eine heiße Sohle aufs Parkett. Mit leicht vorgebeugtem Oberkörper bewegten Anja und Daniel ihre Füße in unglaublicher Geschwindigkeit, warfen die Beine hoch und drehten sich immer wieder. Mal tanzten sie einander gegenüber, mal hintereinander, wobei sie nicht einmal aus dem Tritt kamen. Sie harmonierten perfekt. Richtig spektakulär war, als sie ihren Tanz mit fast artistischen Einlagen würzten und Daniel Anja über seiner Schulter herumwirbelte. Mir lief ein Schauer über den Nacken.
»Warum tanzt du eigentlich nicht gerne?«, fragte
Weitere Kostenlose Bücher