Ordnung ist nur das halbe Leben
erfahren.«
»Wieso nicht?«, fragte mein Vater laut. »Ist doch nicht verboten, sich für die Erhaltung der Natur einzusetzen.«
»Nee, das nicht«, sagte ich. »Aber ich kann nicht offiziell auf eurer Seite sein.«
Sie starrten mich verwirrt an.
»Wenn mein Arbeitgeber erfährt, dass ich auf eurer Seite bin, dann bin ich meinen Job los. Weil unsere Kunden Naturschützern nicht vertrauen.«
Meine Eltern guckten mich wieder mit diesem verständnislosen Blick an, als ob ihr Hirn komplett vernagelt wäre für alles, was mit ökonomischen Belangen zusammenhing. So glotzten sie auch immer, wenn ich ihnen von dem spannenden Rohstoffmarkt erzählte.
»Und was machst du mit dem ganzen Zucker?«, fragten sie dann. Sie kapierten nicht, dass ich natürlich nicht tonnenweise Zucker kaufte, sondern nur eine virtuelle Menge übernahm, die ich dann zu einem höheren Preis weiterverkaufte an jemanden, der auch keinen Zucker brauchte, aber glaubte, dass die Preise noch weiter steigen würden.
Ich seufzte. Dann erklärte ich geduldig: »Naturschutz bedeutet Stillstand. Und Stillstand bringt kein Geld. Wachstum – das ist es, was zählt, und nur darum geht es.«
»Aber es kann doch nicht alles immer weiterwachsen«, beharrte mein Vater, »dann bleibt irgendwann doch überhaupt kein Platz mehr für Tiere, Pflanzen und uns Menschen.«
Meine Mutter nickte und verströmte dabei diese Naivität, die man einer Frau, die auf die sechzig zugeht, gar nicht zutraut.
Ich atmete tief ein. Ich hatte jetzt nun wirklich keine Lust, ihnen schon wieder das kleine Einmaleins der Wirtschaft zu erklären. Deswegen ging ich auch gar nicht auf Vaters einfältige Bemerkung ein, sondern sagte: »Wie dem auch sei. Es wäre besser, wenn mein – äh – Engagement unter uns bliebe.«
Es ratterte einen Moment in den Hirnen meiner Eltern, dann fiel wenigstens bei meiner Mutter der Groschen: »Na klar! Logisch.«
»Aber wieso das denn?«, widersprach mein Vater. »Es wäre doch viel besser, wenn sie sich zu ihrer Überzeugung bekennen würde. Jeder, der seine Stimme in der Öffentlichkeit abgibt, hilft uns.«
»Nein, Manni! Dann kann sie uns doch nicht mit inoffiziellen Informationen versorgen. Was denkst du denn, woher sie wusste, dass das Bogert war!«
Das Gesicht meines Vaters hellte sich auf. »Natürlich! Moni ist unsere Spionin in der Industrieetage!«
Die beiden schauten mich begeistert an. Heiliger Zitronenstrauch! Das hätte ich mir auch nicht träumen lassen.
»Ach, da drüben ist Ellen«, antwortete ich. »Ich muss sie noch was fragen.«
Während mich meine Eltern in diesem Moment mit Wohlwollen ziehen ließen, geriet ich bei Ellen und ihren Lieben in ein mittelschweres Unwetter. Es war so: Baby Fritz wachte auf. Sein Quäken war der Startschuss für seine Oma Dagmar, sich auf ihn zu stürzen, was Arne zu verhindern suchte. Während Dagmar noch in der Ja-wen-haben-wir-denn-da-tutitutituti-Phase war, hatte Arne schon beherzt in den Kinderwagen gegriffen und sich seinen Sohn geschnappt.
»Pass doch auf, sein Kopf«, tadelte Ellen und hielt stützend die Hand in Fritz’ Nacken.
Arne zischte irgendwas und stellte sich dann mit Fritz etwas abseits, um ihm die Bilder an der Wand zu zeigen.
»Ich finde, du solltest ihm sagen, dass er besser aufpassen soll«, keifte Dagmar, als ich mich näherte. »Er hätte dem Kind ja beinahe ein Schleudertrauma zugefügt.«
»Mama«, sagte Ellen müde. »So schlimm war es auch nicht.«
»Hey, ihr beiden«, rief ich. »Das war eine schöne Trauung, oder?«
»Ja«, sagte Ellen. »Aber dieses Kleid von Anja, also echt! Als ob sie den King of Rock ’n’ Roll heiraten würde.«
»Fand ich auch ziemlich unpass…«
»Ellen«, rief Arne und kam mit Fritz angelaufen, der ihm einen ziemlich großen Breifleck auf das schwarze Jackett gemacht hatte.
Dagmars Gesicht hellte sich auf. Sofort nahm sie ihren Enkel entgegen, den Arne jetzt doch bereitwillig abgab. Ellen zückte feuchte Tücher aus einer Kinderwagentasche und wischte das Jackett so gut wie möglich sauber. Gespräche mit Ellen waren nicht so einfach, seit sie ein Kind hatte.
Die anschließende Feier fand in einem Café mit Tanzsaal und großer Terrasse in Köln-Ehrenfeld statt. Es war eines dieser Retrolokale mit Nierentischen, geblümten Tapeten, einer Jukebox und anderen Wohnaccessoires der 1950er- Jahre und trug den passenden Namen Wirtschaftswunder.
»Sieht sie nicht unglaublich glücklich aus?«, fragte ich Jens auf dem Sektempfang, bei
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