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Ordnung ist nur das halbe Leben

Ordnung ist nur das halbe Leben

Titel: Ordnung ist nur das halbe Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Flint
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ich Jens, der sich mit Arne an der Bar festgesaugt hatte.
    »Ist einfach nicht so mein Ding«, war seine erhellende Antwort, dann drehte er sich zu Arne um und sagte: »Im Herbst hole ich mir vielleicht den neuen Peugeot RCZ .«
    »Ach, echt?« Und schon waren die beiden wieder in ein Gespräch über Autos vertieft. Ich holte aus Gewohnheit mein Smartphone heraus und checkte mal eben die Nachrichtenlage.
    »Steck das Ding weg!«, sagte meine Mutter, die plötzlich neben mir aufgetaucht war. »Das ist doch wirklich total peinlich.«
    »Ein Smartphone findest du peinlich?«, fragte ich verdutzt.
    »Na klar, und wie! Als ob du irgendein aufgeblasener Wichtigtuer wärst!«
    Meine Mutter schaute mich ernst an, und obwohl mir eine Diskussion über gesellschaftstaugliches Auftreten auf der Zunge lag, musste ich plötzlich lachen. Ich steckte tatsächlich das Gerät weg, weil es eh nichts Neues gab. Meine Mutter warf mir einen verschwörerischen Blick zu, klopfte Jens auf die Schulter und unterbrach sein Gespräch.
    »So, und nun, Jens, tanz mit mir!«, sagte sie mit breitem Lächeln.
    Jens sagte unterkühlt: »Tut mir leid, Waltraud, aber ich unterhalte mich gerade, wie du vielleicht siehst.«
    »Das kannst du später noch. Los komm jetzt! So ein junger Bursche wie du muss doch tanzen.« Sie fing an, vor ihm hin und her zu zappeln.
    »Mama, er tanzt nie«, beeilte ich mich zu sagen, denn an Jens’ Miene konnte ich ablesen, wie sein Zorn wuchs.
    »Papperlapapp, einmal ist immer das erste Mal.« Mit einem Ruck zog sie an seinem Arm, gerade als er zu seinem Grappa griff.
    »Pass doch auf«, herrschte Jens sie an, weil er beinahe den Schnaps verschüttet hätte. Er kippte ihn in einem Zug runter.
    »Nun lass es gut sein, Mama«, sagte ich. »Es nützt sowieso nichts. Ich habe es auch schon versucht.«
    Aber die Hartnäckigkeit meiner Mutter war legendär, seit sie es einmal geschafft hatte, Stéphanie von Monaco für eine ganze Viertelstunde zu interviewen.
    »Komm, Jens«, sagte sie und schaltete in den Bettelmodus. »Einen Tanz mit deiner Schwiegermutter kannst du doch nicht ablehnen.«
    »Ich will nicht, Waltraud, okay?«, sagte Jens scharf. Er hatte offensichtlich schon mehr als einen Grappa getrunken. Arne stand neben ihm und verkniff sich ein Grinsen.
    »Ach, was bist du langweilig«, sagte meine Mutter.
    »Ach, was bist du aufdringlich «, äffte Jens sie nach. »Und jetzt lass mich in Ruhe. Bitte. «
    »Ich nehme das als ein Vielleicht«, antwortete meine Mutter und rauschte triumphierend ab. Ich wollte Jens ein aufmunterndes Lächeln schenken, aber er winkte dem Barmann und bestellte einen weiteren Grappa für sich und Arne. Ich seufzte.
    »Guck nicht so bedröppelt, mein Kind, ich tanz mit dir«, rief mein Vater, der offensichtlich von meiner Mutter über Jens’ Bockigkeit informiert worden war, und zog mich auf die Tanzfläche.
    Mein Vater war trotz seines dicken Bauches recht flink, und da Lindy Hop nicht so eine steife Angelegenheit war wie Walzer, sondern durchaus den einen oder anderen Schrittpatzer verzieh, solange man nicht zu nah zusammen tanzte, hatten wir erstaunlicherweise nach etwa einer Minute irgendwie den Dreh raus. Auch wenn es natürlich eine reine Fantasieschrittfolge war. Aber es machte Spaß. Wir tanzten auf zwei Armlängen voneinander entfernt, näherten uns an, drehten uns und tanzten weiter. Neben uns tanzten Freunde des Brautpaars, die wie dieses augenscheinlich auch Lindy-Hop-Experten waren. Die Frau trug ein Charlestonkleid und ein Stirnband mit schwarzer Stoffblume. Sie stützte sich auf die Hände des Mannes auf und sprang in die Höhe, wobei sie schnell die Beine spreizte. Als sie wieder gelandet war, rollte sie über seinen Rücken und sprang wieder auf den Boden. Es hatte sich schon ein Kreis von Zuschauern gebildet, die die beiden bewunderten. Mein Vater aber dachte offensichtlich, es wäre auch sein Publikum. Er lachte, packte mich an der Taille, hob mich hoch und drehte sich. Irgendwie gelang es mir, wieder auf die Füße zu kommen.
    »Whhooouuu!«, rief jemand. Mein Vater grinste noch mehr. Die Charleston-Frau und ihr Mann tanzten schneller. Sie sprang auf seinen Arm, und er warf sie elegant über seine Schulter. Es sah ganz leicht aus. Die Leute schrien vor Begeisterung. Ich sah den übermütigen Ausdruck im Gesicht meines Vaters. Er packte mich erneut an der Taille, stemmte mich plötzlich hoch, drückte mich von sich, machte einen Schritt nach hinten und fing an, sich zu drehen

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