Ordnung ist nur das halbe Leben
seinen Arm.
»Natürlich. Also, bis nachher.«
»Bis nachher, Tiger!«
Sie drehte sich um und stöckelte auf ihren Giraffenbeinen an mir vorbei. Schnepfe. Jens’ verfolgte ihren Abgang, bis sein Blick bei mir landete.
»Was machst du denn noch hier?«, fragte er mürrisch.
Aha, dachte ich. Carla da, Laune gut. Verlobte wieder da, Laune schlecht. »Hat Carla dich gerade Tiger genannt?«
»Ach, das ist eine neue Angewohnheit von ihr, das macht sie bei allen.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Worum ging es denn?«, fragte ich möglichst harmlos.
Er wusste, dass ich sie verabscheute. Oder zumindest hätte er es wissen müssen, so oft wie ich früher über ihre Anbaggermasche abgelästert hatte.
»Hör mal, Moni. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für so ein Gespräch, okay?«
»Aber wann denn dann?«, rief ich schrill.
»Ahh, welch Glanz in unserer Hütte«, hörte ich meinen ehemaligen Chef rufen, der sich von rechts näherte. »Moni Steckelbach, die talentierteste Wertpapierspezialistin von Köln. Wann kommen Sie zu uns zurück?« Er klopfte mir jovial auf die Schulter. »Wir haben hier jederzeit ein Büro für Sie!«
»Vielen Dank, Herr Mertens«, sagte ich.
Mertens klopfte auch Jens auf den Rücken und flachste kumpelhaft: »Um den ist es ja weniger schade, der kann ruhig nach London gehen.« Er lachte. »Nur lass die Carla hier, die brauchen wir!«
Ich warf Jens einen entsetzten Blick zu. In meinem Hals bildete sich ein Kloß. Ich sagte, ich müsse jetzt sofort ins Büro zurück, und rannte so schnell wie möglich hinaus.
Ich ignorierte Jens’ Anrufe. Ich war weder bereit für ein Gespräch, noch konnte ich darüber nachdenken, was ich eben gehört hatte. Nach Börsenschluss blieb ich im Büro. Zielgerichtete Arbeit, das war es, was einen aus jeder Krise retten konnte. Und ich würde mir erst einmal meinen Job sichern und Ursula Reinhardt als neue Mandantin gewinnen.
Ich konnte ihr natürlich nicht einfach einen Brief schreiben und sagen, ich wüsste, dass sie viel Geld hätte, und ob wir es nicht für sie verwalten dürften. Dann würde natürlich rauskommen, woher ich – eine ehemalige Saldo-Bank-Mitarbeiterin – meine Informationen hatte. Ich musste es irgendwie geschickter anstellen und einen persönlichen Kontakt herstellen, dann könnte ich ihr natürlich ein Angebot machen. Immerhin war Ursula Reinhardt mit privaten Informationen sehr freigebig, wie ich im Internet feststellen konnte.
Sie ließ sich bei Ausflügen in die Shoppingmeilen Europas begleiten und beim Austernschlürfen filmen, und sie gab Interviews über das Mutter-Kind-Heim in Köln, das sie finanziell unterstützte. Sie hatte selbst früh Kinder bekommen von einem Maler, der sie kurz nach der Geburt des zweiten Kindes sitzen ließ. Da war sie einundzwanzig. Jetzt war sie zweiunddreißig und half nicht nur minderjährigen Müttern, sondern war auch Kapitän der Damenmannschaft des Kölner Tennis-Club 27. Sie hatte dem Wallraf-Richartz-Museum ihre Bildersammlung gestiftet und saß im Vorstand des Festkomitees des Kölner Karnevals. Auf ihrer Facebook-Seite entdeckte ich Fotos von ihr mit J.Lo und Madonna. Mit ihren üppigen schwarzen Haaren und dem gewinnenden Lächeln sah Ursula Reinhardt durchaus sympathisch aus. Ihr gehörte ein Haus in der Kölner Altstadt mit einem geschätzten Wert von fünf Millionen Euro, eine Villa an der Cote d’Azur und ein Appartement in New York. Schön und gut. Aber wie sollte ich an sie rankommen?
Nach zwei Stunden Internetrecherche entdeckte ich einen Zeitungsartikel über die bevorstehende vereinsinterne Frühjahrsmeisterschaft im Tennisklub, bei der Uschi Reinhardt mit Margot Schweinheim ihren Doppeltitel verteidigen wollte.
Das war es.
Jetzt musste ich diese Information nur noch nutzen. Mein Herz klopfte heftig. Ich war im Begriff, das Unmoralischste zu tun, was ich bisher je in meinem Leben getan hatte. Mit dieser Aktion würde ich den Diebstahl in Jens’ Büro zu meinen Gunsten nutzen, was das Ganze erst kriminell machte. Außerdem würde ich lügen müssen, und das hatte ich bisher auch noch nie getan. Meine bisherigen Gesetzesverletzungen beschränkten sich auf einmaliges Schwarzfahren in der Straßenbahn und auf ein unwissentliches Zechprellen, als Ellen gesagt hatte, sie habe ihre Cocktails und meine Colas bezahlt, was sie aber nicht getan und mich kichernd aus dem Lokal rausgelotst hatte. Ich hatte wochenlang ein schrecklich schlechtes Gewissen gehabt. Unter
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