Ordnung ist nur das halbe Leben
blöde Petze, das wirst du mir büßen.«
In der zwölften Klasse machte ich das letzte Mal den Fehler, auf meine Mutter zu hören. Ich war verliebt in Stefan Müller, genannt Popp. Er trug einen Mantel mit Fischgrätmuster und schmale Koteletten bis in die Mitte der Wangen. Er war schon achtzehn und besaß einen klapprigen alten Saab. Die Schulschönheit Tanja war eine Zeit lang seine Freundin gewesen, was uns auf ihn aufmerksam werden ließ. Als er mir eines Tages anbot, mich nach der Schule nach Hause zu fahren, fühlte ich mich total geschmeichelt. Und war sofort verknallt.
Ein paar Tage später bekam ich in der Pause einen Zettel in die Hand gedrückt. Er war von Tanja. Sie schrieb mir, dass Popp krankhaft eifersüchtig sei und sie deswegen mit ihm Schluss gemacht habe. Meine Mutter aber meinte, Tanja würde das nur sagen, weil sie eifersüchtig auf mich sei. Das klang einleuchtend. Also ließ ich mich auf Popp ein. Wir gingen Eis essen und fuhren mit dem Auto herum, wenn es ansprang. Das Küssen gefiel mir. Dann fuhren seine Eltern in den Urlaub, und er wollte, dass ich ihn besuchte. Er legte in seinem Partykeller alte Schallplatten auf und gab mir Baileys zu trinken, den ich mir runterwürgte. Er begann, an mir herumzufummeln. Ich ließ ihn gewähren. Dann zog er mich in sein Zimmer. Dort holte er eine Eisenkiste unter dem Bett hervor und brachte ein Paar Handschellen mit Plüschfell zum Vorschein.
Er sagte: »Komm, Baby, lass uns ein wenig Spaß haben«, und wollte mich ans Bett ketten.
Ich sagte Nein, und dass ich ganz dringend nach Hause müsse.
Er hielt mich fest. Ich bekam Panik und wollte mich losreißen, dabei rammte ich ihm – mehr aus Versehen als aus Kalkül – mein Knie in die Kronjuwelen. Er ließ mich los, und ich rannte davon. Das hielt ihn nicht davon ab, mich am nächsten Tag in der Schule küssen zu wollen. Also machte ich ganz offiziell Schluss und sagte ihm, es sei aus und vorbei.
»Nein«, sagte er.
»Doch«, sagte ich.
»Das werden wir ja schon noch sehen«, sagte er.
Noch wochenlang danach lauerte er mir nach der Schule auf und spionierte mir nachmittags hinterher, dann hatte ich das große Glück, dass er seine Obsession auf Marita aus der Elften verlagerte.
Im Grunde genommen hätte ich jedes Mal einfach nur das Gegenteil von dem tun müssen, was meine Mutter mir geraten hatte. Dann wäre mein Liebesleben viel erfolgreicher verlaufen. Und wenn meine Eltern Jens nicht mochten, dann musste er ja genau der Richtige für mich sein. Ha! Diese Erkenntnis verschaffte mir enorme Genugtuung.
Die Hochzeit würde selbstverständlich wie geplant stattfinden, mit der kleinen Ausnahme, dass sie nicht eingeladen waren. Und mein Leben würde auch wie geplant verlaufen. Genau so, wie ich mir das immer vorgenommen hatte: Karriere in Schwung bringen, heiraten, Kinder kriegen, für jedes der beiden Kinder ein halbes Jahr Elternzeit einlegen, schnelle Rückkehr in den Beruf und weiterer Aufstieg bis zur Fondsmanagerin. Ja, ich kann es nicht anders sagen: Es war alles bestens!
Jedenfalls so lange, bis ich montags wieder ins Büro kam und feststellen musste, dass ich in Sachen Karriere extrem ins Hintertreffen geraten war.
Höveler holte mich in sein Büro und war schon wieder auf hundertachtzig. »Mannometer, Moni. Da haben Sie vielleicht Scheiße gebaut«, brüllte er. »Drei Mandanten sind seit Freitag abgesprungen!«
»Warum?«, fragte ich kleinlaut.
»Warum? Warum ?« Er warf die Hände in die Höhe und ließ sie genervt sinken. »Weil Bogert seinen Freunden gesagt hat, dass wir nicht vertrauenswürdig sind. Und das ist alles Ihre Schuld!«
Er ließ sich auf seinen Chefsessel plumpsen und stützte die Hände in den Kopf.
»Ich – lass mir was einfallen«, stotterte ich.
»Ich weiß nicht, Moni«, sagte er auf einmal ganz ruhig. Und das machte mir richtig Angst. »Vielleicht war es doch die falsche Entscheidung, Sie hier einzustellen. Sie sind noch so jung und …«
Ich schluckte und wagte nichts zu sagen.
Er schaute mich an und seufzte. Dann sagte er resigniert: »Ich überlege mir noch, wie es mit Ihnen weitergeht. Und nun gehen Sie.«
Ich zermarterte mir den Kopf darüber, was ich tun könnte. Ich könnte mir neue Büro-Outfits zulegen, die meine Seriosität unterstreichen würden. Aber das würde nicht ausreichen. Ich würde gute Deals abschließen und hohe Gewinne an der Börse einfahren müssen. Andererseits konnte man das leider nie garantieren. So was konnte auch mal echt
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