Ordnung ist nur das halbe Leben
zu Hause ab.
»Danke für die Mühe«, sagte ich frostig, als er vor der Haustür anhielt.
»Gern geschehen«, antwortete er liebenswürdig und grinste mich an. Ich überlegte, was jetzt die angemessene Art der Verabschiedung war, immerhin hatte er sich besorgt um mich gezeigt, was zwar überflüssig, aber eigentlich ganz nett von ihm gewesen war, wenn man mal seine Hintergedanken beiseiteließ. Ich würde ihm die Hand geben – wie eine Erwachsene. Ja, das wäre gut.
Doch dann legte er den Kopf schief und sagte: »Also dann, Moni. Mach’s gut.«
Und mir schoss ganz plötzlich und ohne Vorankündigung die Vorstellung ins Hirn, wie ich ihn küssen würde. Panisch öffnete ich die Tür und stolperte aus dem Auto, sodass ich fast auf den Bordstein knallte. Im letzten Moment konnte ich mich abfangen.
»Hey, sei vorsichtig«, rief er mir hinterher, aber ich antwortete nicht, sondern floh ins Haus. Erst als ich in der Wohnung war, atmete ich auf. Ich war froh, dass Jens noch nicht da war. Ich kam mir fast vor, als hätte ich ihn betrogen.
»Und dann hatte ich auf einmal das Bild vor Augen, wie ich mit ihm rumknutsche«, rief ich entsetzt ins Telefon, nachdem ich Ellen die ganze Geschichte erzählt hatte.
Es blieb still am anderen Ende der Leitung.
»Ellen?«, fragte ich bang. »Bist du noch dran?«
Ein komisches Atmen erklang. »Ja, klar«, sagte sie. »Musste nur gerade gähnen.«
»Also, was meinst du? Ist das nicht ein alarmierendes Zeichen, dass ich unbewusst – fremdgehen möchte?«
Ellen lachte. »Blödsinn, Moni. Was du nur immer denkst. Was meinst du, mit wem ich in meiner Fantasie schon alles geknutscht habe? Und Sex hatte!«
»Aber was ist mit Arne?«, flüsterte ich.
»Der profitiert nur davon, glaub mir«, sagte sie. »Es ist alles in bester Ordnung bei dir.«
»Meinst du echt?«
»Na klar.«
»Aber was ist, wenn Jens auch daran denkt, andere Frauen zu küssen?« Zum Beispiel diese fiese Carla.
»Na und? Das ist völlig normal. Du kennst doch den Spruch: Appetit holt man sich woanders, gegessen wird zu Hause.«
»Nein, den kenne ich nicht. Und ich finde ihn auch bescheuert«, gab ich zurück.
»Ach, Moni. Du bist süß«, sagte Ellen. »Aber solange nur in Gedanken geküsst wird, schadet das keinem.«
Einigermaßen beruhigt legte ich mich ins Bett. Und weil dieser Tag so aufregend gewesen war, schlief ich sofort ein und wachte auch nicht auf, als Jens irgendwann ziemlich spät nach Hause kam.
»Was ist denn mit dir passiert?«, fragte er am nächsten Morgen und musterte die kleine Schwellung mit dem rot-blauen Fleck an meiner Schläfe.
In diesem Moment fiel mir auf, dass ich ein echtes Problem hatte. Ich konnte Jens unmöglich von meinem Zwischenfall auf dem Tennisplatz erzählen, weil ich dann ja auch von Uschi Reinhardt hätte erzählen müssen. Oh nein! Ich hatte Jens noch nie belogen. Noch kein einziges Mal! Was sollte ich denn jetzt tun? Mir musste eine gute Ausrede einfallen.
»Ich – äh, war gestern noch bei Ellen, und sie hat Sekt aufgemacht, und der Korken ist mir an den Kopf geflogen«, murmelte ich verlegen.
»Oh, armes Möhrchen«, sagte er und küsste mich sanft auf die Stirn. »Tut es sehr weh?«
»Nee, geht schon wieder.« Ich musste Ellen nachher anrufen, damit sie meine Story deckte. Er fing an, an meinem Pyjama rumzunesteln. Da fiel mir etwas Merkwürdiges auf. Normalerweise würde Jens jetzt über Ellens Alkoholkonsum lästern, was er schon vor ihrer Schwangerschaft immer getan hatte. Aber jetzt sagte er gar nichts, sondern war ganz offensichtlich von anderen Gedanken getrieben. Und das an einem Mittwochmorgen! Sonst war doch immer sonntags unser Tag.
Ellens Spruch mit dem Appetitholen fiel mir ein.
Ich schob ihn von mir weg, sodass ich ihm ins Gesicht sehen konnte. »Wie, findest du, sieht diese Carla aus? Auf einer Skala von eins bis zehn.«
»Keine Ahnung!«, behauptete er. »Das ist mir piepegal.«
Also, das glaubte ja wohl keiner. Natürlich wusste er, dass sie gut aussah. Warum wollte er das nicht sagen?
»Dann überleg mal.«
Er rollte mit den Augen. »Dann halt eine Acht.«
»Eine Acht?«, rief ich und sprang auf. »Das ist fast Supermodel.«
Er zuckte mit den Schultern. »Du hast mich gefragt, also habe ich dir eine ehrliche Antwort gegeben.«
Ich verzog mich ins Badezimmer. Also echt. Ich verabscheute Lügen. Aber in so einem Fall war Ehrlichkeit ja wohl moralisch unverantwortlich. Aber so was verstand er gar nicht. Als ob er noch nie was von
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