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Ordnung ist nur das halbe Leben

Ordnung ist nur das halbe Leben

Titel: Ordnung ist nur das halbe Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Flint
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Traumkleid!«
    Ich hatte weder die Kraft, ihr zu erklären, warum ich wirklich weinte – nämlich weil Jens mich vielleicht gar nicht mehr heiraten wollte, da er mir nicht mehr vertraute –, noch konnte ich ihr sagen, dass ich das Kleid etwas zu pompös fand.
    Sie erzählte mir mal wieder, dass sie ja damals kein Geld gehabt hätten für eine anständige Hochzeitsfeier, weil sie ein Haus gebaut hatten und ihre Mutter (meine Oma Hildegard) nur eine kleine Witwenrente bekam und auch die Hochzeit nicht bezahlen konnte. Zudem hatten die Eltern ihres Mannes Bernd schon drei Töchter verheiratet und gesagt, die Hochzeitsfeier ihres Sohnes sei Sache der Brauteltern.
    »Und so habe ich nur ein schlichtes weißes Kleid getragen; kein Tüll, kein Taft, kein Schleier und keine Schleppe. Das Einzige, was wir uns geleistet haben, war das Blumengesteck für das Auto, ein Herz aus weißen und roten Rosen, und ein Mittagessen beim Wienerwald.« Sie beendete die Geschichte wie immer mit einem Seufzer. Dann erlangte sie ihren tatkräftigen Schwung zurück und verkündete: »Umso besser, dass du eine wunderschöne Traumhochzeit haben wirst, mit allem Drum und Dran.«
    »Danke, Tante Marianne«, sagte ich und musste wieder schluchzen.
    Ich konnte mir vorstellen, wie enttäuscht sie wäre, wenn die Hochzeit abgesagt würde. Wenn all ihre Mühe umsonst gewesen wäre, wäre sie am Boden zerstört. Oh Gott! Hoffentlich würde Jens mir verzeihen und wieder zur Vernunft kommen.
    Sie umarmte mich. »Gern geschehen, mein Kind.«
    Als ich an diesem Abend in der leeren Wohnung ins Bett ging, kam es mir so leer und kalt vor, dass ich gar nicht wusste, wie ich mich legen sollte. Ich fühlte mich schrecklich einsam. Ich hätte ja als Trost Banjo ins Bett gelassen, wenn ich nicht gewusst hätte, dass Jens ausrasten würde, wenn er davon erführe. Dauernd überlegte ich, warum er mir sein Geschenk nicht gegeben hatte. Er hatte zwar noch mal angerufen und sich für seine Überraschung bedankt, aber mit keinem Wort erwähnt, dass er auch etwas für mich gehabt hatte. Ich war verwirrt und traurig und schlief höchstens zwei Stunden.
    Am Morgen tat mir der Rücken weh vom schiefen Liegen. Trotzdem stürzte ich mich in die Arbeit, sodass auch noch der Nacken steif wurde vom ausdauernden Starren auf die Monitore und ich das Gefühl hatte, mein Puls würde mit dem Takt der Börse verschmelzen und mein Herzschlag sich an das ständige Auf und Ab der Aktienwerte anpassen. Die Finanzmärkte standen immer noch unter starker Spannung und zuckten plötzlich und völlig unvorhersehbar in die falsche Richtung. Man konnte noch Geld gewinnen, aber es war viel wahrscheinlicher, zu verlieren, und der Abgrund war immer in Reichweite. Das Adrenalin schoss mir ständig in hoher Dosierung ins Blut, und noch nach Feierabend tanzten blinkende Charts vor meinen Augen.
    Ich hätte Jens gerne mein Leid geklagt und ihm gesagt, dass ich ihn vermisste und auf ihn wartete, aber er war ziemlich eingespannt mit Seminaren und seinem Traineejob, sodass er kaum Zeit zum Telefonieren hatte. Abends musste er auch dauernd »Socialising« betreiben und mit irgendwelchen Leuten essen gehen. Ich entwickelte eine noch schlimmere Abhängigkeit vom Handy und Telefon als vorher, denn ich wollte auf keinen Fall einen Anruf von ihm verpassen. Manchmal wünschte ich mir so sehr, dass er anrief, dass ich mich neben unser Festnetztelefon stellte und telepathisch mit ihm Kontakt aufzunehmen versuchte. Total behämmert, klar. Aber es war auch wirklich nicht leicht, diese Unsicherheit zu ertragen. Ich wollte Gewissheit über meine Zukunft.
    Als ich ein paar Tage hintereinander neben dem Telefon gestanden und geistige Nachrichten an Jens geschickt hatte, fiel mir auf, dass vor unserem Haus wieder der rote Toyota mit dem Bonner Kennzeichen und dem Universität-Maastricht-Aufkleber parkte. Und wieder saß die junge Frau mit den schwarzen Indianerzöpfen darin. Auf was wartete sie? Das kam mir langsam komisch vor. Obwohl sie eigentlich sympathisch aussah mit ihren dicken, schwarzen Zöpfen. Wie die Schwester von Winnetou. Eine Weile stand ich hinter dem Fenster und lugte hinaus. Da sich nichts tat, ging ich unter einem Vorwand rüber zu Frau Kaufmann, die die Gartenwohnung im Erdgeschoss hatte, und fragte sie, ob sie wusste, wer die Frau sei. Aber Frau Kaufmann hatte auch keine Ahnung. Wir waren uns einig, dass es sehr merkwürdig sei, untätig in seinem Wagen zu hocken, und dass sie vielleicht die

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