Ordnung ist nur das halbe Leben
Internationale Währungsfonds schnürte ein weiteres Rettungspaket, und die Börsianer hatten wieder blendende Laune. Die Aktienindizes schnellten nach oben, und mit ihnen fiel Gold nach unten. Die doppelt so große Shortposition pulverisierte meinen Hedge-Deal, und ehe noch etwas schiefgehen konnte, klickte ich mich panisch aus dem Trade raus, als ich mit achtzigtausend im Plus war.
Gott sei Dank! Das war ja gerade noch mal gut gegangen. Ich konnte mein Glück kaum fassen, dass dieser Albtraum ein Ende hatte. Eine halbe Stunde später stellte ich fest, dass ich eine Viertelmillion hätte gewinnen können, wenn ich länger drin geblieben wäre. Da ärgerte ich mich wieder, aber nur kurz. Ich war ohne Verluste aus der Nummer rausgekommen, das war die Hauptsache. Jetzt hätte ich zwar wirklich Lust auf eine Shoppingtour gehabt, aber die Mittagspause war schon vorbei. Also ging ich mir nur einen Kaffee holen.
Uschi Reinhardt und Ilja kamen mir im Flur entgegen. Sie waren beide ziemlich aufgebrezelt.
»Wenn jemand nach uns fragt, wir sind jetzt auf einem Außentermin. Bis später, Steckelbach«, sagte Ilja. »Und mach keine Dummheiten, während ich weg bin.«
Ich zog eine Grimasse. Drei Stunden später, als ich gerade gehen wollte, war er wieder da. Ilja war immer noch schick angezogen, aber seine selbstsichere Ausstrahlung hatte einige Kratzer abbekommen. Schweißflecken zierten sein hellblaues Hemd. Er sah stocksauer aus.
»Was ist passiert?«, fragte ich.
»Du glaubst es nicht«, sagte er. »Wir waren bei dem Fototermin mit dem Bürgermeister auf dem Gelände, wo Uschi die sechzig Einfamilienhäuser bauen wird. Und da kommen da so verdammte Umweltschützer und behaupten, dort niste ein Steinkauz, und niemand dürfe dort bauen.«
»Was für Umweltschützer?«, fragte ich vorsichtig.
»Derselbe bescheuerte Bürgerverein, der schon am Flughafen für Ärger sorgt. Und ein paar Waldschrate, die dort in der Nähe wohnen.«
»Und was ist dann passiert?«
»Sie haben einen Zaun um einen Birnbaum gebaut und gesagt, sie würden sich notfalls anketten. Ein paar andere haben schon Zelte aufgeschlagen, um gegen die Erschließung des Geländes zu protestieren. So eine verdammte Scheiße kann ich echt nicht gebrauchen.« Er haute mit der Faust in seine andere Hand. »Wir müssen diese blöden Umweltheinis da wegkriegen, und zwar schnell. Was bilden die sich eigentlich ein? Sollen doch froh sein, dass in ihrem Scheißkaff endlich mal was gemacht wird.« Wütend stapfte er in sein Büro.
Um sieben Uhr abends war es immer noch sommerlich warm. Eine richtige Hitzewelle im Mai. Ich setzte mich in mein Auto und überlegte. Bei dem Talent meines Vaters, sich in den Vordergrund zu drängen, war es nur eine Frage der Zeit, bis jeder wusste, dass meine Eltern den Protest angezettelt hatten. Und dann hätte ich ein echtes Problem. Vor allem weil meinem Vater auch zuzutrauen wäre, dass er überall rumposaunt, dass ich ihnen bei der Sache mit Bogert geholfen hätte. Mir blieb also nichts anderes übrig: Ich musste versuchen, meine Eltern zur Vernunft zu bringen.
Ein selbst gemaltes Plakat hing an dem weit offenen grünen Tor. Schutz für den Steinkauz! Schutz für Streuobstwiesen! Menschen und Tiere brauchen Natur!, hatte meine Mutter mit einem dicken Filzstift auf die Pappe geschrieben. Und darunter: Bürgerinitiative gegen die Bebauung des Geländes »Ackergasse«.
Im Hof waren viele aufgeregte Menschen versammelt, denen die ökologische Orientierung an ihrer grob gewebten farbenprächtigen Kleidung anzusehen war. Das war wohl nicht der richtige Augenblick, mit meinen Eltern zu reden.
Ich wollte mich gerade davonstehlen, als meine Mutter rief: »Ah, da bist du ja!« Sie kam auf mich zu, legte mir den Arm um die Schulter, und noch bevor ich reagieren konnte, rief sie: »Alle mal herhören. Das ist unsere Tochter! Die Bogert enttarnt hat!«
Sofort waren alle Augen auf mich gerichtet.
»Sie kommt gerade von einer Beerdigung, deswegen hat sie diese Klamotten an.«
»Wie bitte?«, zischte ich ihr leise zu.
»Sonst denken die Leute noch, du bist depressiv. Mit diesen schwarzen Klamotten!«, flüsterte sie zurück.
»Das ist Anthrazit!«
»Das macht es auch nicht besser.«
»Und von Burberry!« Aber auch dieses Argument zog nicht bei ihr.
Laut sagte sie: »Das hier vorne ist Dirk, der Vorsitzende des Bürgervereins, der schon am Flughafen so großartige Arbeit geleistet hat.«
Dirk, ein großer, dünner Mann mit kleiner,
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