Ordnung ist nur das halbe Leben
flüsterte er. »Ich hoffe, ein kurzer Besuch vom Nachbarn ist nichts Ungewöhnliches.«
»Das kommt darauf an!«, sagte ich mysteriös.
Er sollte ruhig merken, dass ich total auf Zack war. Ich stellte mich neben den Messerblock und schaute ihn aufmerksam an. Er blieb einen Moment ebenfalls regungslos stehen.
»Ähem. Wo ist er denn?«, fragte der Langhaarige und kam einen Schritt auf mich zu. Er hatte Tätowierungen an den Armen und war ziemlich muskulös. Wenn er an den Safe wollte, könnte er mich leicht überwältigen.
»Ich weiß nicht, wo der Safe ist«, sagte ich, und meine Stimme zitterte.
Er lachte. »Wir haben unseren Knoblauch auch im Safe, gleich neben den Kartoffeln. Aber eine Frage: Was bewahrt ihr dann hier drin auf?« Er zeigte auf einen löcherigen kleinen Topf aus weißem Porzellan, der in einer Ecke der Arbeitsplatte stand.
Mmhh. Er versuchte sicher, mich abzulenken, um heimlich nach dem Tafelsilber zu suchen. Ich beobachtete ihn aus den Augenwinkeln, als ich den Deckel des Töpfchens hob.
»Na so was!«, sagte ich und versuchte lässig zu klingen, damit er meine Angst nicht bemerkte. »Da haben meine Eltern wohl umgeräumt.« Ich holte eine Knolle Knoblauch raus.
»Das sieht gut aus«, sagte er. »Darf ich zwei Zehen haben?«
»Sie können ruhig die ganze Knolle haben.« Ich drückte sie ihm in die Hand.
»Ich bringe sie morgen zurück. Also nicht die, sondern eine neue.«
»Ach, das brauchen Sie nicht. Betrachten Sie es als Geschenk.«
»Danke«, sagte er.
Ich geleitete ihn zurück zum Ausgang.
In der Haustür drehte er sich noch mal zu mir um. »Dann schlaf gut weiter«, sagte er. »Und träum süß von sauren Gurken.«
Ich schaute ihn verwirrt an.
»Das hat meine Oma früher immer zu mir gesagt.«
Als er weg war, war ich so erleichtert, dass ich nicht ausgeraubt worden war, dass meine ganze panische Energie mit einem Mal verpuffte. Ich war so schlapp! Mit bleiernen Muskeln schleppte ich mich zurück ins Wohnzimmer, nahm mir eine Kaschmirdecke vom Sofa, legte mich wieder auf den Massagesessel und schlief wie ein Stein bis zum nächsten Morgen.
19
Ich konnte es nicht fassen, wie gut ich mich am nächsten Tag fühlte. Abgesehen natürlich von meinem schlechten Gewissen, dass ich in der Villa meines Chefs geschlafen hatte. Aber ich hinterließ alles so, wie ich es vorgefunden hatte. Niemand würde bemerken, dass ich da gewesen war.
Ich zog die schwere Bronzetür hinter mir zu und trat in den Maimorgen hinaus. Die Vögel zwitscherten ihr fröhliches Lied, die Luft war frisch, der Himmel blau, mein Rücken beweglich und völlig schmerzfrei. Das war nicht weniger als ein Wunder! Es würde ein herrlicher Tag werden. Ich blieb stehen, um Jens die morgendliche SMS zu schicken.
Da hörte ich Schritte. Ein Jogger kam die Straße hochgelaufen. Mit weit ausholenden Schritten, verwaschener grauer Sporthose und dunkelgrüner Jacke mit Kapuze, die er sich über den Kopf gezogen hatte. Ich erkannte den vermeintlichen Räuber vom Vorabend an den hellblonden Strähnen, die an der Kapuze herausschauten.
»Morgen«, grüßte er und blieb vor mir stehen. »Gut geschlafen?« Er war kaum außer Atem.
Ich nickte. »Wie ein Stein.«
»Ich bringe dir nachher den Knoblauch rüber, okay?« Er lief wieder los. »Bis später.«
Schon war er weg. Ich kam nicht mal mehr dazu, zu sagen, dass das wirklich nicht nötig sei. Ich schaute ihm verdutzt hinterher, bis er im Nachbarbungalow verschwunden war. Komischer Kerl.
Das einzig Blöde war, dass ich keine Wechselsachen dabei hatte und mir keine Zeit mehr blieb, um mich in meiner Wohnung umzuziehen. Zum Glück hatte ich immerhin meine Lieblingshose an, eine knitterfreie schwarze Stoffhose mit Bügelfalte, und meine anthrazitfarbene Seidenbluse, die ziemlich unempfindlich war und der man die Nacht auf dem Sessel nicht unbedingt ansah. Zumindest nicht von vorne. Am Rücken war sie vermutlich ziemlich zerknautscht, aber das konnte ich jetzt nicht ändern. Mein Chef war ja nicht da, und Sören, der alte Nerd, würde nicht mal bemerken, wenn ich im Tabaluga-Kostüm hereinspaziert käme. So beschloss ich, dass mein Outfit für heute Morgen reichen musste. In der Mittagspause würde ich mir dann schnell eine neue Bluse kaufen.
Doch daraus wurde nichts, denn an diesem Tag meinte es der Börsengott gut mit mir. Schon am Vormittag liefen die News über den Ticker. Die Europäische Zentralbank kaufte für Milliarden Euro griechische Staatsanleihen, der
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