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Ordnung ist nur das halbe Leben

Ordnung ist nur das halbe Leben

Titel: Ordnung ist nur das halbe Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Flint
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aber nicht nötig. Trotzdem danke.«
    »Ich heiße übrigens Lennart.«
    »Ich bin Moni.«
    Er erinnerte mich an irgendwen, aber ich wusste nicht, an wen. Den jungen Brad Pitt vielleicht? Nein. Eher an Ryan Gosling. Oder irgendeinen von den Hollywood-Schauspielern, der sich gerade für eine kauzige Außenseiterrolle einen Bart wachsen lassen musste. Das war ja wohl auch der einzige Grund, warum so ein junger Typ wie er diesen merkwürdigen Bart tragen musste. Aber das Merkwürdigste war, dass ich ihn an Lennart überhaupt nicht unattraktiv fand.
    Er deutete mit dem Kopf auf den Oldtimer. »Nicht schlecht, das Teil, oder?«
    »Ach, überhaupt nicht«, regte ich mich auf. »Technisch total veraltet und viel zu unsicher. Da fehlen sogar die Kopfstützen!«
    »Stimmt«, stellte er fest.
    »Unglaublich! Dass man damit heute überhaupt noch fahren darf. Ich meine, der hat doch auch kein ABS und keine Airbags. Kein Wunder, dass die Leute damals auf den Straßen gestorben sind wie die Fliegen«, redete ich mich in Rage. »Und was verbraucht so ein altes Auto an Benzin? Fünfzehn, zwanzig Liter? Also echt, das ist doch der totale Wahnsinn.« Ich fing Lennarts Blick auf.
    Er betrachtete mich amüsiert, seine irritierend blauen Augen blitzten, und um seine Mundwinkel herum zuckte es.
    »O-oh. Es ist dein Auto, nicht wahr?«, fragte ich verlegen.
    Jetzt platzte das Lachen aus ihm heraus. »Ja, genau. Mein Opel Diplomat von 1974. Willst du eine Runde fahren?«
    Wenn ich jetzt, nachdem ich gerade sein Auto beleidigt hatte, auch noch Nein sagte, würde er mich für total unhöflich halten.
    Also sagte ich kleinlaut: »Ja, okay.«
    »Prima. Mal sehen, was du danach meinst! Ich muss nur noch schnell das Gartenwerkzeug aufräumen, dann hole ich dich ab, okay?«
    Ich nickte. Ich war ja so ein Idiot. Was machte ich denn da? Ich konnte überhaupt nicht mit dem Nachbarn ins Auto steigen! Erstens war er noch nicht mal mein echter Nachbar. Und zweitens – und das fiel mir in dem Moment siedend heiß ein – hatte ich immer noch dieselben Sachen an wie gestern! Und selbst der schönste Designerfummel fing irgendwann an zu müffeln. Und mit verschwitzten Klamotten würde ich mich bei niemandem auf der ganzen Welt auf den Beifahrersitz setzen. Oh je!
    Doch dann fiel mir ein, dass Jutta Höveler oben einen ganzen Schrank voller schöner Kleider hatte.

20
    »Das ist Wahnsinn«, murmelte ich auf dem Weg in den ersten Stock. Ich konnte das nicht im Ernst tun! Was für ein Vertrauensmissbrauch! Ich würde nur einen kurzen Blick hineinwerfen, und dann würde ich sehen, dass mir ihre Sachen nicht passten, und dann würde ich einen Migräneanfall vorschieben, wegen dem ich nicht mitfahren konnte.
    Doch als ich die Schranktür öffnete und die exquisite Auswahl an erlesenen Stoffen und Schnitten sah, kam meine Rechtschaffenheit ziemlich ins Schlingern. Jeder Frau, die nur ein bisschen modeinteressiert war, würden die Tränen kommen angesichts dieser Kleider.
    Ehrfürchtig holte ich das Sommerkleid heraus, das ich aus der Reinigung abgeholt hatte. Das musste ich einfach anprobieren. Vorher müsste ich allerdings schnell duschen.
    Auch das Badezimmer der Hövelers war der reinste Luxus. Die Dusche war groß genug für zwei, und in der Wanne hätte man Babyschwimmkurse halten können. Und ich hatte das Haus für einen unwirtlichen Klotz gehalten! Obwohl ich gerne länger unter der Wasserfallbrause gestanden hätte, beeilte ich mich. Zum Glück hatte der Föhn eine Turbostufe, die mir das Haar im Handumdrehen trocken blies. Einen Deostick hatte ich immer in der Tasche, genau wie eine Grundausstattung Make-up. Dann stieg ich in Jutta Hövelers Kleid, und ab dem Moment vergaß ich meine Gewissensbisse.
    Wenn das Kleid was dagegen hätte, dass ich es trage, würde es einfach nicht so gut an mir aussehen, dachte ich verzückt.
    Jutta Höveler war gut zehn Zentimeter größer als ich, aber unser Taillenumfang schien ziemlich exakt der gleiche zu sein. Das Kleid saß wie angegossen. Es war natürlich ein klitzekleines bisschen zu schick dafür, dass ich mit dem Nachbarn nur eine Runde mit dem Auto fahren würde, aber was soll’s. So eine Gelegenheit kam nicht wieder. Ich würde es nur dieses eine Mal anziehen, es danach reinigen lassen und ein zweites Mal aus der Reinigung holen. Das wäre dann fast so, als wäre nichts gewesen, oder?
    Zu meiner Überraschung hatte sich auch Lennart umgezogen und trug zur ausgeblichenen Jeans ein weißes Hemd. Die oberen

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