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wichtiger für Natalie war, dass er unter Insidern in Washington den Ruf hatte, zäh, genau und vertrauenswürdig zu sein.
Dabei hatte Natalie ihn nicht einmal im Zusammenhang mit einer seiner Recherchen kennengelernt. Sie waren sich vielmehr bei einer Weihnachtsparty bei Warren Büffet vorgestellt worden – ausgerechnet. Natalie war allenfalls zufällig eingeladen worden, zumal ihr Chef in letzter Minute hatte absagen müssen. Mitten unter den Promis, Politikern und Medienleuten hatte sich Gregory McDonald die Zeit genommen, mir ihr über ihre halbwüchsigen Söhne zu sprechen – er hatte selber drei davon –, und was sie sich zu Weihnachten wünschten. Damals hatte er keine Ahnung gehabt, wer Natalie war oder für wen sie arbeitete, und schon deshalb hatte er Natalie für sich eingenommen.
Auch heute am Roosevelt Memorial würde sie mit ziemlicher Sicherheit niemand erkennen. Zumal sie Bluejeans und ein T-Shirt vom Smithsonian Museum anhatte. Sie trug eine Sonnenbrille, und über der Schulter hatte sie eine Stofftasche hängen, die eine bunte Ansicht sämtlicher Sehenswürdigkeiten von Washington zierte. Mit etwas Glück unterschied sie sich kein bisschen von den anderen Touristen. Vielleicht besaß sie ja doch tief in ihrem Innern einen Funken Emma Peel.
Während sie auf McDonald wartete, musste sie überlegen, ob diese Geschichte ihn nicht in die Position als Nachrichtenchef katapultieren würde, für die er schon seit einiger Zeit gehandelt wurde. Sie hängte ihre Tasche von einer Schulter auf die andere. Es wäre nicht schlecht, wenn dieses ganze Durcheinander zumindest ein wenig Gutes zur Folge hätte.
Ein Mann kam zu ihr herauf, um die Inschriften eines der Denkmäler hinter ihr zu lesen. Er trug Jogginghose und T-Shirt und hatte einen alten Rucksack auf dem Rücken. Sie trat zur Seite und sah auf die Uhr. Der Ort war voller Touristen, ein paar einsamen Spaziergängern und Familien, aber überwiegend waren es Exkursionen von Rentnern und kreischenden Highschool-Schülern.
Als der Mann mit dem Rucksack zu ihr herüberkam und neben ihr stehen blieb, wollte sie ihm schon ihren besten „Zieh Leine!“-Blick zuwerfen, als sie das Lächeln erkannte.
„Sie sind dünner und viel kleiner, als ich sie in Erinnerung habe.“
„Vor der Kamera sieht man immer nach ein paar Kilo mehr aus.“
„Wohl wahr. Deshalb halte ich mich auch immer fern davon.“
Natalie sah sich um. Die nächste Gruppe lief von Raum zu Raum im Memorial. Niemand schien sich für sie beide zu interessieren. Zufrieden nickte sie in Richtung einer Bank an der Wand gegenüber.
„Das richtige Timing ist doch das A und O in Ihrer Branche“, sagte sie zu McDonald, während sie einen Umschlag aus ihrer Tasche holte und ihm reichte. Er zögerte nicht und stellte keine Fragen. Er nahm einfach nur den Umschlag und steckte ihn in eine Seitentasche seines Rucksacks.
„Meines Wissens gilt das ebenso für Ihre Branche“, sagte er gleichmütig, als säßen hier zwei Freunde, die sich über ihren Arbeitsalltag austauschen. Als er dann aufstand, seinen Rucksack auf den Rücken nahm und sich zum Gehen wandte, fügte er noch hinzu: „Sie wissen, dass ich Sie das einfach fragen muss: Geht Ihr Chef bei der nächsten Runde ins Rennen?“
Sie wusste auch ohne weitere Erklärung natürlich sofort, dass er das Rennen um die nächste Präsidentschaft meinte. Längst kursierten Spekulationen darüber, aber Natalies Chef hatte es geschafft, sich bedeckt zu halten und sich dabei alle Optionen offenzuhalten.
Natalie lächelte nur. „Sagen wir mal so: Wenn Ihr Timing stimmt, werden Sie es als Erster erfahren.“
83. KAPITEL
Jason wollte die Informationen weitergeben, die er über Arthur Galloway zusammengetragen hatte, aber Senator Adams schien nicht mehr daran interessiert. Jason konnte sich denken, dass sein Chef Wichtigeres im Kopf hatte. Morgen früh sollte der Investitionsausschuss seine Entscheidung fällen. Jason würde nicht da sein. Er wurde in Florida erwartet, um die Details für den Empfang zu klären, der in seinen Augen als kleine Feier gedacht war.
Die Stimme von Senatorin Malone würde reichen, und trotzdem lief Senator Adams in seinem Büro auf und ab. Die Nervosität konnte man ihm vom unruhig mahlenden Kiefer bis zu seinen angespannten Schultern deutlich ansehen.
„Brauchen Sie sonst noch irgendwas?“, fragte Jason und sah überrascht, dass sein Chef grinste.
„Wir haben getan, was wir konnten“, antwortete er, ohne stehen zu
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