Organic
liebsten losgerannt, denn sie hatte nur noch im Kopf, irgendwie über den Parkplatz zu kommen und so schnell wie möglich ihren Leihwagen zu finden.
Was hatte er nur für eine verdammte Farbe? Wieso hatte sie sich das nicht gemerkt?
Aber bevor die Panik vollends Besitz von ihr ergriff, sah sie das Stück des Platzes, wo sie immer parkte. Ein Hoch auf die Gewohnheit. Jetzt musste sie nur noch einsteigen, den Motor anlassen und so schnell wie möglich verschwinden.
47. KAPITEL
Washington D. C.
Natalie Richards schenkte sich noch ein Glas Wein ein. Aber diesmal wollte sie es langsam trinken und nicht herunterstürzen. Ihr Chef würde Verständnis haben, aber Natalie kannte ihre Grenzen. Sie würde mit dem dritten bis nach ihrem Telefonat warten. Sie überprüfte, ob ihr Handy auch eingeschaltet war, dann legte sie es beiseite und ließ sich aufs Sofa fallen.
Sie hatte noch in der Tür ihre Schuhe abgestreift und ihre Strumpfhose ausgezogen. Die Anspannung in ihren Schultern und der Druck in der Magengrube wollten nicht weichen, obwohl sie beides unter Kontrolle bekommen wollte. So früh war sie seit Monaten nicht mehr nach Hause gekommen, und glücklicherweise war es dort zur Abwechslung einmal friedlich. Ihre Söhne und ihr Exmann waren in Michigan auf einem Campingplatz irgendwo am Ende der Welt. Es sollte ein dreiwöchiger Urlaub sein. Sie gab ihnen drei Tage oder vielleicht vier, aber dann würden sie betteln und verhandeln, um an eine Playstation und einen Internetzugang zu kommen. So wohltuend die Ruhe auch war, sie vermisste ihre Männer – alle drei.
Ron hatte angeboten, die Jungs zu nehmen, als Natalie davon hatte ausgehen müssen, sie würde mit ihrem Chef zum Energiegipfel nach Florida fahren. „Du fährst nach Florida und gönnst dir ein paar Extratage. Das machst du sonst nie“, hatte Ron gesagt. „Die Jungs und ich wollten schon seit über zwei Jahren mit meinem Vater angeln gehen. Also machen wir das jetzt einfach.“
Wenn er solche Dinge sagte, wusste sie nicht mehr, warum sie sich hatte scheiden lassen, zumal Natalie klar war, was für ein Opfer es für Ron bedeutete, drei Wochen in der Wildnis zu verbringen, sosehr er seine Söhne auch liebte. Und was auch immer Natalie gesagt hatte, ihr gefiel die Idee, nach Florida zu fahren und vielleicht ein paar Tage dranzuhängen und mal einen Nachmittag am Strand zu genießen. Das „Reid Estate“ hörte sich nach einem Paradies an, ein großes Anwesen direkt am Golf von Mexiko, mit Privatstrand und jeder Menge weißem Sand. Aber nun würde sie ganz sicher in Washington bleiben.
Ihr Chef hatte den Tod von Zach Kensor als „ungünstig“ und als „Kollateralschaden“ bezeichnet. „Manchmal braucht es ein Opfer und einen Verlust für eine größere Sache“, lautete ein anderer Satz. Natalie wusste das alles. Genauso hatte sie Colin Jernigan zu trösten versucht. Colins Schuldgefühle verringerte das nicht, und genauso war es mit Natalies. Aber für einen Mann wie Colin, der mehr Tatorte und mehr Kollateralschaden erlebt als Natalie im Fernsehen gesehen hatte, waren Schuldgefühle ein unpassender Zug, den sie bei ihm nicht erwartet hätte. Natürlich äußerten sich die Schuldgefühle vor der Entdeckung der Fingerabdrücke. Aber so oder so spielte es keine große Rolle. Es war eine riesengroße Schweinerei, und Natalie musste zusehen, wie sie das wieder in Ordnung brachte. Und zwar in achtundvierzig Stunden.
Als das Handy klingelte, erschrak sie doch. Ihr Zucken genügte, um etwas Merlot auf ihren weißen Teppich zu kleckern. Sie fluchte leise und griff nach dem Telefon. Sie setzte sich auf, konzentrierte sich und nahm das Gespräch an.
„Hier ist Natalie“, sagte sie, weil ihr Boss nicht gern nachfragte.
„Du wirst nicht glauben, was ich für einen dicken Fisch an der Angel hatte.“
Natalie brauchte einen Moment, aber dann ließ sie sich erleichtert ins Sofa zurücksinken.
„Mein Kleiner hat einen Fisch gefangen?“ Sie lächelte, als er knurrte. Wie sehr er es doch hasste, wenn sie ihn „mein Kleiner“ nannte. Aber das war er, und er würde es immer bleiben. Es musste der Wein sein, denn sie hatte feuchte Augen, als Yrell von seinem Riesenfisch erzählte. Sie lächelte, weil er so aufgeregt war, und dann musste sie plötzlich an die Mutter von Zach Kensor denken.
Sie biss sich auf die Lippen, und dann entschied sie sich. Ihr Chef würde zustimmen, da war sie sich völlig sicher. Ja, Natalie wusste genau, was sie in den kommenden
Weitere Kostenlose Bücher