Organic
Blick, die unkontrollierten Finger, die gar nicht so ohne Kontrolle waren.
Aber nichts davon half Leon wirklich weiter. Wenn der Alte in seiner eigenen Fantasiewelt lebte, wollte er sich möglicherweise partout nicht an die reale Welt erinnern lassen, zum Beispiel durch seine Kinder, die für ihn eine Verbindung zur Wirklichkeit darstellten, aus der er ja gerade geflohen war. Die Wirklichkeit, die nichts mehr mit Meredith zu tun hatte. Das mochte der Grund sein, warum er seine Tochter neulich kaum wiedererkannt hatte. Aber wenn das der Fall war, dann verschwendete Leon gerade diesen verfluchten Vormittag. Außerdem würde ihm hier noch nicht einmal seine kleine Zange helfen, um herauszubekommen, was er wissen wollte.
Galloway war wieder still, und Leon nutzte die Gelegenheit. Er stand noch einen Moment wartend da, aber Galloway spielte schon wieder auf seinem imaginären Klavier.
„Also kommt Ihre Tochter nach Ihrer Frau, wie?“, versuchte es Leon noch einmal. Es konnte ja nicht schaden. Immerhin hatte er den ganzen Weg hierher gemacht. „Ich habe neulich abends gesehen, dass sie Sie besucht hat. Eine sehr attraktive Frau. Ihre Meredith muss ein echter Hingucker sein.“
Leon stand vor dem Alten, die Hände in die Taschen seines Overalls gesteckt und tat so, als hätte er alle Zeit der Welt, während er an der Zange in seiner Tasche herumspielte.
„Sabrina. Heißt sie nicht so?“ Er beobachtete Galloways Finger, um zu sehen, ob er irgendeine Reaktion ausgelöst hatte. Es war so leicht gewesen mit seiner Frau, aber seine Tochter hatte zu viel mit der Wirklichkeit zu tun.
Leon überlegte, ob er es doch mit der Zange versuchen sollte. Es wäre nicht weiter schwer, ihm ein paar Finger zu brechen. Verdammt, dafür brauchte er nicht mal ein Werkzeug. Einfach wegdrücken, bis es knackte.
Er sah sich im Fernsehraum um. Eine Schwester half einer Frau durch den Flur, aber ansonsten waren nur Verrückte in der Nähe. Das Stationszimmer konnte er von hier aus nicht sehen. Vielleicht war ein bisschen Schmerz genau das, womit man den alten Trottel in die Wirklichkeit zurückholen konnte.
„Es gibt vielleicht Erbsen zum Mittag“, sagte Galloway plötzlich, ohne Leon auch nur anzusehen.
Alter, jämmerlicher Idiot. Leon schüttelte den Kopf. Vielleicht hatte er sich doch geirrt. Vielleicht war der Mann wirklich verrückt. Er sah auf die Uhr. Er hatte drei verdammte Stunden hier vergeudet.
Als Leon sich schon zum Gehen wandte, sagte Arthur Galloway noch: „Eric kommt nach seiner Mutter. Vor allem seit er vom Leben am Strand so braun geworden ist.“
Leon rührte sich nicht, um es nicht zu versauen. Warf ihm der Alte da einen Brocken hin? Vielleicht dachte er, bei Leon wäre sein Geheimnis gut aufgehoben. Aber wie sollte er wissen, ob er seinen Sohn mit der Sonnenbräune letzten Monat oder letztes Jahr gesehen hatte? Andererseits konnte es gut sein, dass seine Tochter bei ihrem Bruder Hilfe suchte, wo immer er war. Aber Leon musste vorsichtig sein. Wenn man ganz beiläufig tat, hörten sie gar nicht mehr auf zu plappern. War es einem offensichtlich wichtig, machten sie sofort wieder dicht.
„Ja, ich habe auch so einen Scheißsonnenbrand gekriegt letzten Monat in Fort Lauderdale“, ließ Leon wie zufällig fallen und hoffte, Galloway würde ihn korrigieren und damit enthüllen, an welchem verdammten Strand sein Sohn wohnte.
„Mit Perlzwiebeln“, sagte Galloway.
„Wie bitte?“, fragte Leon und dachte: Worüber zum Teufel labert dieser Kerl bloß? Was hatte das mit Zwiebeln zu tun? Aber Galloway unterbrach Leons Überlegungen, als er sagte: „Meine Meredith liebt Erbsen mit diesen kleinen Perlzwiebeln.“
Leon entfuhr ein Seufzen, und er verdrehte die Augen. Entweder war dieser Kerl ein regelrechtes Genie oder so verrückt, wie man nur sein konnte. Was auch immer, jedenfalls hatte Leon einen ganzen Vormittag an ihn verschwendet.
70. KAPITEL
Washington, D. C.
Jason Brill rückte von dem Laptop auf seinem Schreibtisch weg. Er rieb sich die Augen und versuchte dann den Knoten in seinem Nacken wegzumassieren. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr, überrascht, weil er stundenlang ohne Pause im Internet gewesen war. Kein Wunder, dass er allmählich schielte und ein Loch im Bauch hatte.
Es schien in Arthur Galloways Leben keinerlei Geheimnisse zu geben. Natürlich hatte Jason nicht zu allen Datenbanken des FBI Zugang. Und das, worauf er Zugriff hatte, würde mögliche verdächtige Aktivitäten nicht einmal
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