Orphan 1 Der Engel von Inveraray
ihre Art, sich zu vergnügen."
Jack blickte sie neugierig an. „Woher wissen Sie das?"
„Weil ich im Gefängnis gesessen habe", antwortete sie geradeheraus.
„Wir alle waren dort, Junge", fügte Oliver hinzu, als er Jacks Verblüffung mitbekam.
„Außer Miss Genevieve, natürlich." Er kicherte.
„Doch Miss Genevieve kennt die furchtbaren Zustände in den Gefängnissen, täusche dich nicht." Doreen warf Genevieve ein bewunderndes Lächeln zu und fuhr dann fort, Haydons Hände zu säubern.
„Die Behörden suchen ihn garantiert schon", meinte Genevieve versonnen, während sie den Waschlappen sanft über seine heiße, von Blutergüssen übersäte Brust gleiten ließ. „Und da Jack und ich die Letzten waren, die ihn in seiner Zelle gesehen haben, werden sie uns zweifellos verhören wollen, falls sie ihn heute Nacht nicht finden."
„Ich rede nicht mit ihnen", stieß Jack grimmig hervor.
„Ich fürchte, dir wird nichts anderes übrig bleiben, Jack. Wir beide werden ihnen Rede und Antwort stehen müssen." Sie zögerte und betrachtete Haydons Antlitz.
Ich bin kein Mörder, hatte er ihr gesagt und sie dabei mit schmerzlicher Eindringlichkeit angeschaut. Und in diesem Augenblick, als er sie mit seinem verzweifelten Blick in seinen Bann geschlagen hatte, war sie kurz davor gewesen, ihm Glauben zu schenken. Sie kannte keinerlei Einzelheiten des Falls - wusste nicht das Geringste über ihn. Nichts, außer der Tatsache, dass ihm in seinen letzten Stunden auf dieser Welt das Schicksal eines aufsässigen, diebischen Jungen mehr am Herzen gelegen hatte als sein eigenes.
Und dass er eingegriffen und sich selbst geopfert hatte, als dieser Junge grausam gezüchtigt werden sollte.
„Doch was wir den Behörden mitteilen werden", fügte sie mit leiser, entschlossener Stimme hinzu, „steht auf einem anderen Blatt."
Haydon hatte das Gefühl zu verbrennen.
Er wälzte sich von einer Seite auf die andere im verzweifelten Bestreben, die Flammen zu ersticken oder sich wenigstens ein wenig kühle Luft zuzufächeln.
Gleichzeitig jedoch fröstelte er, und seine Zähne klapperten wie lose Kieselsteine, obwohl er die Kiefer so fest zusammenpresste, dass er fürchtete, die Knochen würden brechen. Jedes Mal, wenn er sich drehte, durchzuckte ihn ein heftiger, quälender Schmerz, der bis in die letzte Faser seines Körpers drang. Er konnte sich weder bewegen noch still liegen, denn beides war unerträglich, und die Verzweiflung darüber raubte ihm fast den Verstand. Er versuchte zu schreien und um Gnade zu flehen. Sein Leiden sollte ein Ende haben, wenn es sein musste, durch den Tod. Gewiss konnte selbst der grausamste Gott nicht von ihm erwarten, diese Qualen zu ertragen.
Dann kam ihm der Gedanke, dass er vielleicht schon tot war und es sich bei den Schmerzen um die entsetzlichen Höllenqualen handelte, zu denen er verdammt worden war.
Der Schrei erstarb ihm in der Kehle.
„Schscht", machte eine sanfte weibliche Stimme. „Es ist alles gut."
Ein kaltes, feuchtes Tuch glitt über sein Gesicht und schenkte ihm die ersehnte Kühlung. Es wurde einen Augenblick lang fortgenommen und dann erneut behutsam über seine glühende Haut gestrichen. Das kühle Wasser rann in silbrigen Rinnsalen an seinem Gesicht hinab in sein Haar, zwischen seine trockenen Lippen und in seine ausgedörrte Kehle. Ein Plätschern in einer Wasserschüssel, dann war das Tuch wieder da. Mit langsamen, sicheren Bewegungen wurde es über seinen geschundenen Körper geführt, kreisend und liebkosend, wie sanfte Wellen, die ihn umspülten. Allmählich erlosch das Feuer in seinem Inneren. Sein Atem ging flach, doch regelmäßig, sein Frösteln ließ nach, und endlich sank er schwer in den weichen Grund, auf dem er ruhte.
Vielleicht war er doch nicht tot.
Er döste eine Weile und nahm dabei halb benommen die wohltuenden Bewegungen des kühlenden Tuchs auf seiner fiebrigen Haut wahr. Es glitt über seine Brust bis zu seinem Bauch hinab, dann behutsam über seine Rippen wieder hinauf. Es wurde mit sicherer, doch sanfter Hand geführt. Wieder und wieder strich es über seine Haut, beruhigte ihn mit seinen rhythmischen Liebkosungen, schenkte ihm ein Gefühl von Frische und Geborgenheit, obgleich er sich nicht vorstellen konnte, wer ihn dieser Zuwendung für würdig erachten mochte. Gedämpfte Musik drang an sein Ohr, so leise und zart, als sei sie nicht für ihn bestimmt. Er zwang sich, völlig reglos dazuliegen, und versuchte sogar, das schwache Seufzen beim Atmen
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