Orphan 2 Juwel meines Herzens
Freundes doch wirklich bewundernswert gespielt. Und trotzdem hast du mich immer auf Abstand gehalten. Ich musste ungebeten hier erscheinen und dich geradezu zwingen, mit mir auszugehen. Von allein hättest du das nie getan. Anfänglich glaubte ich schon, dir erschiene etwas verdächtig an mir, doch inzwischen weiß ich, dass du es mit allen so machst. Deshalb besitzt du auch keine wirklichen Freunde. “
„Wenn ich überlege, wie unsere Freundschaft nun zu Ende geht, finde ich meinen Wunsch nach Zurückgezogenheit mehr als verständlich“, antwortete Harrison trocken.
„Nun, Harry, du hast Glück. Von nun an musst du nichts mehr vor der Welt verstecken“, überging Tony die Bemerkung. Nicht eine Sekunde lang ließ er die Waffe sinken. „Die ganzen Juwelen sind völlig unbedeutend im Vergleich mit diesem Augenblick. Davon träume ich seit sechzehn Jahren. “
Fragend zog Harrison eine Braue hoch. „Da kannst du kaum mehr als ein Junge gewesen sein. “
„Ich war fünfzehn“, erwiderte Tony. „Und keineswegs der Sohn eines Viscount, obwohl ich mich in der Rolle doch sehr anständig geschlagen habe, wie ich finde. Mein Vater war Polizist - ein Inspector sogar. Rupert Winters hieß er. Sagt dir der Name etwas? “
Harrison blickte erstaunt auf.
„Ah, du erinnerst dich“, fuhr Tony fort. „Beruhigend, dass er also zumindest einen gewissen Eindruck auf dich gemacht hat. Obwohl du ihn damals bestimmt wie ganz London ebenfalls für einen kleinen Dummkopf gehalten hast, weil er dich einfach nicht fassen konnte. “
„Nein, Tony, dein Vater ist mir nie als Narr erschienen. “ „Nicht doch, Harry, ich weiß es besser. Wie auch sonst? Du warst der schlaue Schatten, der ein volles Jahr lang wie ein Gespenst durch Wände zu gehen schien, während die Polizei verzweifelt nach dir suchte. Mein Vater hingegen war nichts als ein hart arbeitender, unterbezahlter Polizist und du der größte Fall seiner Karriere. Der Druck, der auf ihm lastete, war unbeschreiblich. Und er wurde mit jedem deiner neuen Diebstähle größer. Dann begannen die Zeitungen auch noch über die Polizei und besonders den zuständigen Inspector herzuziehen. Mein Vater war bald der Hofnarr der Stadt. Er schwor, dich zu fangen oder zu sterben. Weißt du eigentlich, was aus ihm wurde? “
„Inspector Winters wurde ermordet, lange nachdem der Schatten zum letzten Mal auf Raubzug ging“, entgegnete Harrison und versuchte verzweifelt, sich an die Einzelheiten zu erinnern. „Es stand in der Zeitung. Er arbeitete an einem anderen Fall. Irgendein Verbrecher griff ihn in einer dunklen Gasse an und brachte ihn um. Das hatte nichts mit mir zu tun. “
„Oh, im Gegenteil, mein Lieber“, widersprach Tony eisig. „Mein Vater war geradezu besessen davon, dich zu schnappen. Er konnte kaum noch essen und schlafen oder sich um seine Familie kümmern. Du wurdest zu seinem einzigen Lebensinhalt. Als du plötzlich mit den Diebstählen aufhörtest, wollte er es einfach nicht wahrhaben. Er wartete und wartete, dass du wieder zuschlagen würdest und er endlich über dich triumphieren könnte. London war nicht dankbar, als der Schatten so plötzlich verschwand, sondern wendete sich wieder gegen meinen Vater. Die Zeitungen scherzten, der Schatten wäre wohl alt und fett geworden, während Winters vergeblich versucht hatte, ihn aufzuspüren. Wieder wurde mein Vater zum Dummkopf der Stadt abgestempelt. Er begann zu trinken und ließ seine Wut an der Familie aus. Beruflich war er am Ende. Man gab ihm nur noch kleine Fälle in den schlimmsten Gegenden von London. Dabei kam er dann auch schließlich um. Meine Mutter, meine Schwester und ich blieben vollkommen mittellos zurück. Wag es also nicht noch einmal, dich hinzustellen und zu behaupten, das alles hätte nichts mit dir zu tun gehabt. Es ging immer nur um dich. Dein Hunger nach teuren Steinen zerstörte meine ganze Familie. Du kannst dir ja sicher vorstellen, unter welchen Umständen wir überleben mussten. “
Unverwandt blickte Harrison ihn an, sagte aber kein einziges Wort. Ihm war es nie zuvor in den Sinn gekommen, dass seine Diebstähle jemand anderem als den Bestohlenen geschadet haben könnten. Und denen hatte er immer eine Mitschuld am Untergang seines eigenen Vaters gegeben. Die hatten es eben nicht anders verdient. Nein, er glaubte auch jetzt nicht, dass er für den Tod von Inspector Winters verantwortlich war. Dennoch konnte er nicht abstreiten, dass er am Niedergang dieses Mannes eine gewisse
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