Orphan 2 Juwel meines Herzens
Jahre lang gequält und zu den entsetzlichsten Dingen gezwungen hatte, war nun wieder hinter ihr her. Zweifellos kannte Harrison ihre Vergangenheit, auch wenn er noch so heftig versicherte, dass solcher Klatsch ihn nicht kümmere. Doch Genevieve war die Einzige, die wirklich Genaueres von Charlotte erfahren hatte. Und nicht einmal die Stiefmutter kannte alle hässlichen Einzelheiten. Als sie Charlotte aufgenommen hatte, wollte die ihr zunächst nur wenig erzählen. Die Kleine fürchtete, dass die Mutter sie sonst vor Abscheu wieder hinauswerfen würde. Erst mit den Jahren fand Charlotte den Mut, über ihr altes Leben zu sprechen. Genevieve zwang sie nie, mehr zu erzählen, als sie freiwillig preisgab. Die Countess hatte gelernt, dass es für manche Kinder nicht heilsam war, sich all die schrecklichen Ergebnisse nochmals vor Augen zu führen. In diesem Punkt unterschieden sich die Menschen. Was dem einen half, mochte den anderen fast zerstören. Über ihren Vater hatte sich Charlotte jedenfalls meist ausgeschwiegen und war stattdessen bemüht, ihn gänzlich aus dem Gedächtnis zu streichen.
Ihr zerschmettertes Bein allerdings würde sie ein Leben lang unablässig an ihn erinnern.
„Wer hat Flynn in seine Gewalt gebracht?“ drängte Harrison wieder sanft.
„Wenn ich es Ihnen offenbare, versprechen Sie mir, es niemand anderem zu verraten?“ flehte sie und drückte fest seine Hand.
„Möglicherweise werden wir Hilfe benötigen, um Flynn zu befreien. Dann müsste ich vielleicht meinen Schwur brechen.“
Heftig schüttelte sie den Kopf. „Nein, Harrison, davon darf niemand erfahren. Es ist schon gefährlich genug, mich Ihnen anzuvertrauen. Falls er herausfindet, dass ich....
„Wer denn nur?“
Sie schwieg.
„Gut“, gab er nach. Wenn er nicht auf ihre Bedingung einging, würde sie ihm kein Sterbenswörtchen verraten. „Ich schwöre, dass ich niemandem etwas sage. Was ist also mit Flynn passiert?“
Sie schluckte. „Mein Vater hat ihn entführt und hält ihn gefangen.“
Harrison zog erstaunt die Brauen hoch. „Lord Redmond?“
„Nein, nein, nicht er. “ Sie senkte den Kopf und studierte den Perserteppich, weil sie es nicht über sich brachte, Bryden in die Augen zu sehen. „Mein richtiger Vater. “
Es gelang ihm nicht, seine Überraschung zu verbergen. „Ich glaubte, der wäre tot. “
Sie nickte. „Ja, heimlich hatte ich das wohl auch gehofft. Aber wahrscheinlich habe ich ihn einfach nur, so gut es ging, verdrängt, bis er schlicht aufhörte, für mich zu existieren. Obwohl ich ihm natürlich nie den Tod oder etwas anderes Schlimmes wünschte. Ich bemühte mich einfach, diesen Teil meiner Kindheit vollkommen zu vergessen“, versicherte sie. Tatsächlich war sie da gar nicht so sicher. „Ich wollte einfach nicht, dass er weiter ein Teil meines Lebens ist. Sie müssen mich für entsetzlich gefühllos halten. “
„Aber um Himmels willen, Charlotte, natürlich nicht“, widersprach er energisch. „Nach allem, was ich über Sie gehört habe, war Ihr Vater ein gemeiner Dieb, der Sie noch dazu schrecklich misshandelt hat. Es gibt wohl niemanden, der gern an derlei zurückdenkt. Sie waren doch noch ein kleines Mädchen, das sich nicht gegen ihn wehren konnte. “
Sie hielt den Blick weiter gesenkt. „Die meisten Leute glauben vermutlich, ich wäre eine Waise gewesen, als Lady Redmond mich in Inveraray aus dem Gefängnis rettete. Meine leibliche Mutter starb, als ich kaum mehr als ein Baby war. Ich kann mich gar nicht an sie erinnern. Mit zehn Jahren fand mich Genevieve. Bis dahin hatte ich bei meinem Vater gelebt. Man verhaftete uns zur selben Zeit wegen Diebstahls. Er wurde zu mehreren Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Allerdings saß er nicht in Inveraray ein. Man erklärte Genevieve, dass er ins Strafgefangenenlager nach Perth gebracht worden sei. Danach hörten wir nie wieder von ihm. Aber ich bemühte mich auch nie, mehr in Erfahrung zu bringen. “ Sie strich mit dem Finger über den zerschlissenen Stoff der Armlehne, bevor sie schuldbewusst hinzufügte: „Ich wollte auch einfach nichts mehr über ihn wissen. “
»Haben Sie denn nie befürchtet, er könnte eines Tages zurückkehren und nach Ihnen suchen? “
„O doch, der Gedanke hat mich lange gequält. Ich malte mir aus, wie er aus dem Lager ausbrach und mich aufspürte. Doch dann heiratete Genevieve Haydon, und er machte mich und meine Geschwister zu seinen legalen Mündeln. Unsere Namen wurden geändert, und die ganze Familie
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