Orphan 2 Juwel meines Herzens
aber Miss Kent rein zufällig Lord Bryden mitten in der Nacht einen Besuch abstatten sollte, machte dies doch hochgradig unwahrscheinlich.
10. KAPITEL
„Guten Morgen, Harry! “ rief Lady Bryden und schwebte förmlich ins Speisezimmer. „Wie schön, dass ich dich noch antreffe, bevor du hinausgehst... trinkst du da etwa Kaffee? “
Harrison blickte von der Zeitung auf und musterte die Mutter vorsichtig, um deren gegenwärtigen Gemütszustand einzuschätzen. „Guten Morgen, Mama. Wie fühlst du dich heute? “
„Harry, was ist nur los mit dir? Wenn dein Vater dich dabei erwischt, wie du hier sitzt, seine Zeitung liest und seinen Kaffee austrinkst, wird er furchtbar böse. “
„Papa ist nicht hier. “
„Das ist keine Entschuldigung“, erwiderte Lady Bryden streng. „Telford, bringen Sie meinem Sohn freundlicherweise eine Tasse Tee mit viel Milch und Zucker. Und ein Zimtbrötchen. Die mag er so gern. “
Hilflos schaute Telford zu seinem Herrn.
„Das wird nicht nötig sein, Telford. Ich bin bereits fertig mit dem Frühstück“, versicherte Harrison. Dann erklärte er an seine Mutter gewandt: „Ich werde gleich ausgehen. “
„Wirklich? “ Verwirrt betrachtete sie ihn. „Wohin denn?
Harrison zögerte. Tatsächlich traf er sich mit seinem Anwalt, um ein Aktienpaket zu verkaufen, das sich aus Anteilen an drei verschiedenen Unternehmungen zusammensetzte. Der Mann hatte ihm tags zuvor noch dringend geraten, die Papiere unbedingt weiter zu halten, weil sie in den nächsten Jahren einen noch weit höheren Gewinn versprachen. Bedauerlicherweise war Harrison dies un möglich. Wenn alles nach Wunsch verlief, sollte er das benötigte Geld schon in einigen Tagen in Händen halten.
Dann wollte er sich mit Charlotte treffen und besprechen, wie die Übergabe vonstatten gehen sollte.
Schuldgefühle regten sich. Er machte sich schwere Vorwürfe für das, was vor zwei Tagen zwischen ihm und Charlotte vorgefallen war. Natürlich, er konnte einen Teil auf die Kopfschmerzen und das Laudanum schieben. Dennoch war es einfach unverzeihlich, was er getan hatte. Sie hatte vollkommen verängstigt und von aller Welt verlassen bei ihm Schutz gesucht, weil sie ihm vertraute. Und er hatte ihre Lage ausgenutzt. Da gab es nichts zu beschönigen. Er hatte sie verführt und sich ihrer bemächtigt, als wäre sie irgendein Freudenmädchen, das ihm einen nächtlichen Privatbesuch abstattete.
Allein der Gedanke an diese Nacht... Himmel, er war schon wieder erregt, wie er mit Abscheu feststellte. Ihm war wirklich nicht mehr zu helfen!
„Harry, fühlst du dich auch wohl? Du wirst ja ganz blass! “
„Mir geht es gut, danke“, beruhigte er Lady Bryden. „Ich bin mit einem Freund zum Mittagessen verabredet“, fügte er dann als Antwort auf ihre Frage hinzu.
„Mit wem? “
„Er heißt Lawrence. “ Harrison war nie sicher, wie viel er seiner Mutter tatsächlich erzählen sollte. Manchmal nahm sie, was immer er sagte, einfach mit einem kurzen Nicken hin, dann wieder regte sie sich über irgendeine Kleinigkeit furchtbar auf.
„Ah, Lord Sheltons Sohn? “ fragte sie und zog die zarten Brauen zusammen. „Der solche Angst vor Pferden hat? “
Sollte er sie aufklären? Nein, wahrscheinlich war es besser, wenn sie glaubte, sie wüsste, mit wem er sich traf. „Genau der“, log er also.
»Dann musst du ihn unbedingt zu deiner Party einladen, Harry“, verkündete sie begeistert. „Das wird bestimmt ein großer Spaß! Wir werden draußen alle möglichen lustigen Spiele veranstalten, es wird Eiscreme geben und Kuchen,
Ponys... “ Plötzlich hielt sie stirnrunzelnd inne. „Lawrence wird das doch nichts ausmachen, solange er nicht darauf reiten soll, was denkst du? Der Arme muss sich nämlich übergeben, wenn er einem Pferd zu nahe kommt. Seine Eltern waren deswegen mit ihm sogar schon beim Arzt. Der Doktor meinte, es könnte am Geruch der Tiere liegen. Also hat seine Amme ihm einen parfümierten Schal um die Nase gebunden, aber das hat auch nichts geholfen. Der Kleine musste immer noch brechen. “
„Ich glaube, er hat inzwischen seine Angst vor Pferden überwunden, Mutter“, versicherte er.
„Da werden seine Eltern aber froh sein. Schließlich kann man unmöglich das Leben eines Gentleman führen, wenn Pferde einem den Angstschweiß auf die Stirn treiben. “ „Wie wahr“, bestätigte Tony, der gerade das Speisezimmer betrat.
„Mr. Poole! “ rief Telford überrascht wegen des unerwarteten Erscheinens des Herrn.
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