Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ort der Angst (German Edition)

Ort der Angst (German Edition)

Titel: Ort der Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mala Wintar
Vom Netzwerk:
die Vögel mit einem Kreischen herab und sammelten die Brocken auf, ehe sie in der Gischt untergehen konnten. Die junge Frau strich ihre Handflächen gegeneinander und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Reling. Entspannt legte sie den Kopf in den Nacken, ließ ihr langes braunes Haar über das Geländer hängen und schloss die Augen.
    „Ist das nicht klasse? Zu Hause ist es jetzt eisig kalt und hier haben wir fast 30 Grad!“
    „Hmmm!“, antwortete Oliver, sog die salzige Luft ein und beglückwünschte sich innerlich zu seinem Entschluss, nach dem Abitur erst einmal die Welt zu bereisen, anstatt sich sofort dem Stress eines Studiums zu unterwerfen. Der Blick über das Meer war einfach herrlich. Wolkenbänder in Rauchblau, Gelb und Orange beherrschten den abendlichen Himmel. Nur die Sonne konnte Oliver nicht sehen. Zumindest nicht direkt, Melanie versperrte ihm die Sicht. Durch den dünnen Stoff ihres Sommerrocks hindurch erkannte er von seiner Position aus trotzdem, wie tief das Gestirn im Augenblick stand.
    Interessante Perspektive . Sich zur Seite neigend kramte er die Digicam aus Melanies Badetasche, stellte den Zoom ein und knipste los. Er war so konzentriert darauf, die Bilder nicht zu verwackeln, dass er nicht bemerkte, wie Melanie die Augen öffnete und sah, was er da trieb. Mit einem empörten Schrei riss sie ihm die Kamera aus der Hand und klickte sich mit offenem Mund durch das Menü.
    „So eine Frechheit! Na warte!“
    Oliver brauchte nicht zu fragen. Er wusste, dass sie jedes einzelne seiner neuen Kunstwerke vom Speicher löschte.
    „Mein Freund ist ein Perverser!“
    „Das hat nichts mit pervers zu tun. Ich wollte lediglich etwas Sehenswertes für die Nachwelt erhalten!“
    „Sehenswert, hah! Nicht mal mein Gesicht war mit drauf! Das ist alles andere als schmeichelhaft!“
    „Wenn du willst, kann ich das nachholen, ehe ich die Bilder ins Internet stelle!“
    Mit zusammengekniffenen Lippen griff sie nach der Handtuchrolle in ihrer Tasche und holte aus. Doch sie schlug nicht zu. Stattdessen begann sie zu lachen und setzte sich neben ihn auf die Liege.
    „Warum verschwendest du deine Zeit damit, Bilder zu machen, wenn du das alles live haben kannst?“
    „Stimmt! Sogar hochauflösend!“
    „Worauf warten wir dann noch?“, hauchte sie und stand auf.
    „Da seid ihr ja!“, rief jemand aus einiger Entfernung hinter Melanie.
    Die verdrehte die Augen und atmete hörbar aus. „Deine Sandkastenfreundin taucht immer im richtigen Augenblick auf“, flüsterte sie an Oliver gewandt, um sich gleich darauf mit einem Lächeln Anna zuzuwenden, die rasch näher kam. „Wo hast du deinen Anhang gelassen?“
    „Den suche ich ja gerade! Ihr habt Robert also auch nicht gesehen?“ Anna strich sich die roten Locken aus dem Gesicht, als der Wind hindurchzauste.
    „Check lieber mal das Bordcasino. Nicht, dass er gerade den Rest seines elterlichen Reisetaschengelds verjubelt!“ Auf diese Bemerkung hin kniff Oliver in Melanies Hintern, dass sie ein Quietschen unterdrücken musste.
    Anna zuckte nur mit den Schultern. „Das kann mir dann auch egal sein. Solange wir nicht verheiratet sind …“ Plötzlich riss sie die Augen auf. „Ich störe euch doch nicht etwa?“
    „Aber nein!“ Oliver legte versöhnlich den Arm um Melanies Schulter. „Natürlich nicht! Kommt, ihr beiden! Lasst uns einen Spaziergang machen!“
    Gemeinsam schlenderten sie über das Promenadendeck und sahen zu, wie die letzten Strahlen der Sonne durch die Wolken brachen, bis sie ganz von der Nacht verschluckt wurden.
    Die Temperatur frischte auf. Anna zog sich eine Strickweste über, während Oliver seine Partnerin wärmend im Arm hielt. Ständig begegneten ihnen andere Passagiere, die ebenfalls an Deck Luft schnappten. Nur Annas Freund Robert schien sich einem anderen Zeitvertreib hinzugeben.
    Als ihnen aus der Ferne Lichter entgegenfunkelten und der wandernde Kegel eines Leuchtturms auftauchte, wussten sie, dass sie sich Progreso näherten. Bald würde das Schiff an dem sagenhaften Pier anlegen, der mehr als sechs Kilometer weit ins Meer hinausragte. Zwei Tage lang wollten sie sich hier in der Hafenstadt aufhalten, um sich am Strand in der Sonne zu aalen, ehe ein Reisebus sie weiter ins Landesinnere von Yucatán bringen würde.

 
     
    Kapitel 12
     
    Ängstlich wanderte Marias Blick immer wieder die Sicherungsleine entlang, die ihr Partner gerade spannte, während er ein Stück voraus durch die kristallene Dunkelheit tauchte. Die

Weitere Kostenlose Bücher