Ort der Angst (German Edition)
Höhlenwels auf, der auf der Suche nach einem neuen Versteck durch das Wasser huschte und schließlich hinter einer der Kalksteinsäulen Schutz fand.
Paul nutzte die Gesteinsformation, um einen weiteren Ankerpunkt mit der Sicherungsleine zu setzen und so ihren Rückweg zu sichern. Maria bemerkte ein schwaches Licht in der Ferne und machte Paul darauf aufmerksam. Gemeinsam steuerten sie dem Schein entgegen, gewannen langsam an Höhe und erreichten schließlich ein Gesteinsplateau, das sich wie ein geheimnisvoller smaragdschimmernder Unterwasserwald vor ihnen erstreckte. Sie befanden sich hier noch immer in beträchtlicher Tiefe. Doch die Strahlen der Tropensonne, die von oben durch Risse im Dschungelboden bis auf den Grund dieser Ebene reichten, waren stark genug, um einen Teil der Dunkelheit und Kälte an diesem Ort zu verdrängen. Wie Vorhänge einer titanischen Unterwasserbühne verästelten sich die Wurzeln mächtiger Urwaldbäume zu einem schwarzen Geflecht und wogten sanft in der Strömung.
Zwischen abgestorbenem Ast- und Wurzelwerk, das vereinzelt auf dem Grund herumlag, fiel Marias Blick auf etwas Vertrautes. Auch Paul musste es bemerkt haben; ein im Boden eingesunkenes Skelett. Die Rippenbögen ragten nur noch zur Hälfte heraus und der Kopf war fast vollständig von Schlick bedeckt. Zu Marias Entsetzen griff Paul sofort nach dem Schädel, zog ihn aus dem Grund und strich mit der bloßen Hand über die fleischlose, braun verfärbte Oberfläche. Dann drehte er ihn um. Auf der Rückseite klaffte ein Loch. Als könne er den Schmerz des Toten nachempfinden, griff sich Paul an den eigenen Hinterkopf.
Einen Erschlagenen zu finden, war nicht weiter ungewöhnlich. Einige der bisher in Cenotes gefundenen Schädel wiesen ebenfalls Verletzungen auf. Merkwürdig war in diesem Fall nur, dass die Stelle nicht zu den üblichen Opferstätten gehörte. Von diesem einen Skelett abgesehen lagen hier keine anderen menschlichen Überreste herum.
Maria berührte ihren Partner am Unterarm und bedeutete ihm, er solle den Schädel wieder hinlegen. Sie wollte nicht, dass er die Ruhe des Toten störte. Davon abgesehen war es strengstens verboten, etwas in den Unterwasserhöhlen zu verändern. Paul verharrte einen Moment lang unbeweglich, als überlege er. Dann platzierte er den Kopf wieder an seiner ursprünglichen Position und begann, wie von Sinnen in dem Sediment um das Gerippe herum zu wühlen. Voller Bestürzung versuchte Maria, ihn davon abzuhalten, aber er stieß sie weg. Plötzlich fand er etwas im Schlick, packte zu und zog die geschlossene Faust an seine Brust. Bei all dem aufgewirbelten Schmutz konnte Maria nichts mehr erkennen. Fassungslos blickte sie auf die Wolke aus Sediment, die sich nur langsam wieder auf die nun völlig durcheinandergeratenen Knochen senkte. Maria schüttelte den Kopf und wollte sich ihrem Partner zuwenden. Wo war er hin? Ratlos blickte sie um sich und sah, wie der Schein seiner Taschenlampe sich in jene Richtung entfernte, aus der sie gekommen waren. Hatte Paul den Verstand verloren?
Die Leine , schoss es ihr panisch durch den Kopf. Er hat die Sicherungsleine mitgenommen und lässt mich hier alleine zurück! Doch das stimmte nicht. Gleich darauf fand sie die Spule, die Paul achtlos auf den Grund hatte fallen lassen. Rasch griff sie danach und begann, die Schnur wieder aufzuwickeln. Sie musste ihrem Partner zurück in die Tiefe folgen. Wenn es mir nicht gelingt, ihn einzuholen, ist er verloren!
Er legte ein unglaubliches Tempo vor. So sehr sie sich auch bemühte, sie kam nicht näher. Immer wieder musste sie anhalten, um die Sicherungsleine neu zu befestigen. Dabei sah sie kaum, was sie tat, denn sie wollte ihn nicht aus den Augen verlieren. Warum tust du mir das an?
Ohne auf die Druckanzeige ihres Sauerstoffgeräts zu achten, folgte sie Paul so schnell sie nur konnte in die Finsternis.
Plötzlich verschwand sein Licht.
Verlier jetzt nicht die Nerven! Vielleicht ist er bloß um eine Ecke geschwommen , versuchte Maria, sich zu beruhigen und steuerte weiter auf die Stelle in der Ferne zu, an der sie zuletzt etwas gesehen hatte. Endlich gelangte sie an eine Passage; der Durchgang war kaum mannshoch, dafür umso breiter. Mindestens zehn Meter, schätzte Maria. Hier musste Paul durchgeschwommen sein. Das erklärte, warum sie ihn vorhin aus den Augen verloren hatte.
So warte doch! Ein weiteres Mal befestigte sie die Schnur an einem Stück Fels. Ihre hektischen Bewegungen sorgten dafür, dass sie
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