Ort des Grauens
gehört, die gern mit ihren Kumpels in Bars herumhingen oder mit ihnen auf den Fußballplatz gingen. Teilweise lag das daran, daß es schwer war, andere Männer von Mitte Dreißig zu finden, die sich für das interessierten, was ihm wichtig war: Big-Band-Musik, die Kunst-und Kulturszene der Dreißiger und Vierziger und klassische Comics von Walt Disney.
Und Julie war nicht der Typ, der gern mit den Mädels essen ging, weil es auch nicht viele dreißigjährige Frauen gab, die wild waren auf die Big-Band-Ära, Cartoons von Warner Brothers, asiatische Kampfsportarten oder Waffentraining für Fortgeschrittene.
Obwohl sie so viel Zeit miteinander verbrachten, wurden sie einander doch nie überdrüssig, und sie war für ihn immer noch die interessanteste und anziehendste Frau, die er jemals getroffen hatte.
»Warum brauchen die so lange?« fragte sie und schaute hinauf zu den jetzt hell erleuchteten Fenstern von Decodyne, strahlende, wenn auch verschwommene Rechtecke im Dunst.
»Du mußt Geduld haben mit ihnen, Liebling«, sagte Bobby. »Sie sind nicht so dynamisch wie Dakota & Dakota. Sie gehören nur zu einer simplen Einsatztruppe.«
Der Michaelson Drive war abgeriegelt. Acht Polizeifahrzeuge - Personen-und Mannschaftswagen - waren über die Fahrbahn verteilt. In der stillen Nachtluft hörte man das Knistern atmosphärischer Störungen und das Knattern metallischer Stimmen im Polizeifunk. Ein Polizeibeamter saß hinter dem Steuer eines der Streifenwagen, und an beiden Enden des Blocks waren Uniformierte postiert. Vor der Eingangstür des Decodyne-Gebäudes sah man zwei weitere. Der Rest war drinnen und suchte nach Rasmussen.
Die Männer vom Polizeilabor und vom Büro des Untersuchungsrichters fotografierten derweil, stellten Messungen an und entfernten die Leichen der beiden schießwütigen Kerle.
»Was, wenn er es schafft, mit den Disketten abzuhauen?« fragte Julie.
»Das wird er nicht.«
Sie nickte. »Klar, ich weiß, was du denkst - Whizard wurde auf einem innerbetrieblichen Computersystem entwikkelt. Aber in der Firma gibt es noch ein zweites System mit Modems und allem, mit dem man Daten per Telefonleitung übertragen kann, nicht wahr? Was passiert, wenn er die Disketten mit zu einem dieser Terminals genommen und sie telefonisch übermittelt hat?«
»Kann er nicht. Das zweite System, das mit dem anderen nicht in Verbindung steht, ist völlig anders als das, mit dem Whizard entwickelt wurde. Die beiden sind nicht kompatibel.«
»Rasmussen ist schlau.«
»Da gibt es außerdem eine Nachtsperre, das heißt, man kann es nachts gar nicht benutzen.«
»Rasmussen ist schlau«, wiederholte sie.
Wieder ging sie vor ihm auf und ab.
Die Schürfwunde auf ihrer Stirn, die sie sich zugezogen hatte, als sie mit dem Kopf auf das Steuer aufgeschlagen war, nachdem sie gebremst hatte, blutete nicht mehr, schien aber wund zu sein und zu nässen. Sie hatte das Gesicht zwar mit Papiertüchern abgewischt, dennoch waren unter ihrem rechten Auge und auf den Wangen Streifen verschmierten Bluts zurückgeblieben, die fast wie verschorfte Schnittwunden aussahen. Jedesmal, wenn Bobby einen Blick auf die oberflächliche Wunde warf, spürte er ein nagendes Angstgefühl beim Gedanken an das, was ihr hätte widerfahren können - was ihnen beiden hätte widerfahren können.
Es überraschte ihn nicht, daß die Verletzung und das Blut auf ihrem Gesicht ihre Schönheit nur betonten, sie noch zerbrechlicher und damit noch kostbarer erscheinen ließen. Julie war schön, obwohl Bobby bewußt war, daß sie das in seinen Augen wohl mehr war als in den von anderen. Das war in Ordnung, denn schließlich waren seine Augen die einzigen, mit denen er sie sehen konnte.
Ihr haselnußfarbenes Haar, das jetzt in der feuchtkalten Nachtluft ein wenig zusammengefallen wirkte, war gewöhnlich voll und glänzend. Sie hatte weit auseinanderliegende Augen, die so dunkel waren wie Halbbitterschokolade, Haut so weich und so natürlich braun wie Toffee-Eis und einen wohlgeformten Mund, der ihm immer süß erschien.
Jedesmal, wenn er sie betrachtete, ohne daß sie sich der Intensität seines Interesses voll bewußt war, oder wenn er von ihr getrennt war und versuchte, ihr Bild vor seinem geistigen Auge heraufzubeschwören, gingen seine Gedanken um sie immer um Eßbares: Haselnüsse, Schokolade, Toffee, Sahne, Zucker, Butter. Das fand er amüsant, war ihm doch der tiefere Sinn dieser Vergleiche klar: Sie erinnerte ihn an Nahrungsmittel, weil sie ihn - mehr als
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