Ort des Grauens
sehen, daß sie eine Blondine war. Ihr helles Haar spiegelte sogar das trübe Grau wider, das von den Fenstern herüberkam.
Mit seiner freien Hand schob er sanft das Haar an der rechten Seite ihres Halses zurück, änderte leicht seine Position und rutschte ein kleines Stück tiefer, bis seine Lippen ihren Hals erreichten. Er küßte das zarte Fleisch, spürte das starke Pochen ihres Pulses an seinen Lippen, biß dann tief hinein und fand das Blut.
Sie bäumte sich auf unter ihm und zappelte, doch er hielt sie fest, und es gelang ihr nicht, seinen gierigen Mund von der Wunde abzuwehren, die er gerissen hatte. Er schluckte hastig, konnte die dicke, süße Flüssigkeit aber nicht so schnell zu sich nehmem, wie sie ihm entgegensprudelte. Bald jedoch wurde der Blutfluß schwächer. Die Zuckungen des Mädchens waren nun ebenfalls weniger heftig und hörten dann ganz auf, bis sie so still unter ihm lag, als wäre sie nichts anderes als ein wirrer Haufen von Bettüchern.
Er stand auf und knipste die Nachttischlampe gerade so lange an, daß er ihr Gesicht sehen konnte. Er wollte ihre Gesichter nach den Opferungen immer sehen, wenn nicht schon vorher. Er schaute immer gern in ihre Augen, die nicht blind, sondern mit der Vision eines fernen Ortes begnadet zu sein schienen, zu dem ihre Seelen sich erhoben hatten. Er verstand seine Neugier selbst nicht ganz. Immerhin fragte er sich ja auch nicht, wenn er ein Steak gegessen hatte, wie die Kuh wohl ausgesehen hatte. Dieses Mädchen -und jedes der anderen, an deren Blut er sich gelabt hatte - sollte eigentlich für ihn nichts anderes sein als ein Stück Vieh.
Einmal, in einem Traum, in dem er gerade damit fertig gewesen war, aus einer geplünderten Kehle zu trinken, hatte sein Opfer, obwohl tot, zu ihm gesprochen, hatte ihn gefragt, warum er es ansehen wollte, so leblos, wie es war. Als er ihm sagte, er wisse darauf keine Antwort, meinte es, daß er vielleicht bei diesen Gelegenheiten, bei denen er im Dunkel getötet habe, die Gesichter seiner Opfer später sehen müsse, weil er in irgendeiner dunklen Ecke seines Herzens erwarte, sein eigenes Gesicht zu sehen, das da - totenbleich und mit leeren Augen - zu ihm aufblickt.
»Tief in deinem Inneren«, hatte das Traum-Opfer gesagt, »weißt du, daß du selbst bereits tot bist, innerlich ausgebrannt. Dir ist klar, daß du mit deinen Opfern weit mehr gemein hast, nachdem du sie getötet hast, als vorher.«
Diese Worte, obwohl sie nur in einem Traum ausgesprochen und der reinste Unsinn waren, hatten ihn damals aus dem Schlaf geschreckt. Er hatte laut geschrien. Er lebte, war nicht tot. Er war kräftig und vital, ein Mann mit einem Appetit, der so stark war, wie er ungewöhnlich war. Auch nach Jahren hatte er die Worte seines Traum-Opfers nicht vergessen, und wenn sie bei Gelegenheiten wie dieser in seiner Erinnerung widerhallten, jagten sie ihm Angst ein.
Jetzt widersetzte er sich ihnen - wie jedesmal. Statt dessen wandte er dem Mädchen auf dem Bett seine ganze Aufmerksamkeit zu.
Es schien etwa vierzehn zu sein, recht hübsch. Der makellose Teint zog ihn in seinen Bann, und er fragte sich, ob sich die Haut wohl so perfekt anfühlte, wie sie aussah, so glatt wie Porzellan,, wenn er es wagte, sie mit den Fingerspitzen zu berühren. Die Lippen waren leicht geöffnet, als seien sie von der Seele sanft auseinandergeschoben worden, als diese den Körper verließ. Die wundervoll blauen, klaren Augen schienen riesig zu sein, zu groß für das Gesicht -und so weit wie ein Winterhimmel.
Er hätte das Mädchen stundenlang anschauen können.
Nach einem Seufzer des Bedauerns knipste er die Lampe wieder aus.
Er blieb noch ein Weilchen im Dunkeln stehen, eingehüllt vom beißenden Geruch des Blutes.
Nachdem sich seine Augen wieder an die Finsternis gewöhnt hatten, kehrte er in den Hur zurück, ohne sich damit aufzuhalten, die Tür zum Zimmer des Mädchens zu schließen. Er betrat den Raum, der ihrem gegenüberlag und fand ihn unbewohnt.
Aber im Zimmer daneben roch Candy schalen Schweiß und hörte Schnarchen. Hier schlief ein Junge, siebzehn oder achtzehn, nicht gerade groß, aber auch nicht klein, und er kämpfte verbissener als seine Schwester. Er schlief allerdings auf dem Bauch, und nachdem Candy die Decke weggezogen und sich auf ihn hatte fallen lassen, wurde das Gesicht des Jungen so kräftig in das Kissen und die Matratze gedrückt, daß er keine Luft mehr bekam und keine Warnung mehr herausschreien konnte. Der Kampf war hitzig,
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