Ort des Grauens
Recorder aus.
Bobby drehte sich abrupt um, ging in Richtung Waschraum und sagte: »Julie, ich muß dich einen Moment allein sprechen.«
Zum drittenmal betraten sie gemeinsam den Waschraum, schlossen die Tür hinter sich und schalteten den Ventilator ein.
Bobbys Gesicht war grau und erinnerte an eine stark schraffierte Bleistiftzeichnung, sogar seine Sommer-sprossen hatten ihre Farbe verloren. Seine gewöhnlich lustigen blauen Augen waren jetzt überhaupt nicht mehr lustig.
»Bist du verrückt geworden?« fragte er. »Du hast ihm gesagt, wir übernähmen seinen Fall.« Julie schaute ihn verblüfft an. »Aber das wolltest du doch.«
»Nein.«
»Ach! Dann habe ich mich wohl verhört. Muß zuviel Wachs in meinen Ohren haben. Hart wie Zement.« »Er ist vermutlich ein Irrer, gefährlich.« »Ich sollte wohl lieber zum Arzt gehen, mir die Ohren einmal richtig durchblasen lassen.« »Diese wilde Geschichte, die er sich da ausgedacht hat, nur um...«
Sie hob warnend eine Hand und unterbrach seinen Redefluß. »Nun mal halblang, Bobby. Diesen Käfer hat er sich nicht ausgedacht. Was ist das für ein Ding? Ich habe niemals auch nur ein Foto von irgendwas gesehen, das ihm ähnelt.«
»Was ist mit dem Geld? Er muß es gestohlen haben.«
»Frank ist kein Dieb.«
»Was ... Hast du diese Weisheit vom lieben Gott? Denn es gibt niemanden sonst, der das wissen könnte. Du kennst Pollard erst knapp eine Stunde.«
»Du hast recht«, erwiderte sie. »Der liebe Gott hat's mir geflüstert. Und Gott höre ich immer zu, denn wenn man Dun nicht zuhört, wird Er uns mit größter Wahrscheinlichkeit eine Heuschreckenplage schicken oder unser Haar mit einem Blitzschlag entflammen. Hör zu, Frank ist so einsam, so entwurzelt. Er tut mir leid. Okay?«
Er starrte sie an und kaute einen Moment lang auf seiner blutleeren Unterlippe. »Wir arbeiten so gut zusammen, weil wir einander ergänzen«, erwiderte er schließlich. »Du hast Stärken, wo ich Schwächen habe, und ich habe Stärken, wo du Schwächen hast. Es gibt viele Gebiete, auf denen wir nicht die geringste Ähnlichkeit haben, doch wir gehören zusammen, weil wir zusammenpassen wie die einzelnen Teile eines Puzzles.«
»Komm zur Sache.«
»Ein Gebiet, auf dem wir uns unterscheiden, uns aber ergänzen, ist unsere Motivation. Das paßt mir in den Kram, weil es mir einen Riesenspaß bereitet, Menschen zu helfen, die ohne eigene Schuld in Schwierigkeiten geraten sind. Ich mag es, wenn das Gute siegt. Hört sich nach dem Helden in einem Comic an, aber ich empfinde nun mal so. Du dagegen beziehst deine Motivation in erster Linie daraus, den bösen Buben den Garaus zu machen. Ja, sicher, ich finde es auch richtig, wenn die bösen Buben am Boden liegen und winseln. Aber für mich ist das nicht so wichtig wie für dich. Und natürlich bist du auch froh, wenn du unschuldigen Menschen helfen kannst, doch bei dir steht das erst an zweiter Stelle. Vermutlich weil du immer noch dabei bist, mit der Wut wegen des Mordes an deiner Mutter fertigzuwerden.«
»Bobby, wenn ich eine Psychoanalyse will, gehe ich in einen Raum, in dem das Haupteinrichtungsstück eine Couch ist - keine Toilette.«
Ihre Mutter war bei einem Banküberfall als Geisel genommen worden, als Julie zwölf war. Die beiden Täter waren voll von Amphetaminen gewesen, doch an gesundem Menschenverstand und Mitgefühl hatte es ihnen total gemangelt. Bevor alles vorbei war, waren fünf der sechs Geiseln tot, und Julies Mutter war nicht die glückliche gewesen.
Bobby wandte sich zum Spiegel und schaute ihr Spiegelbild an, als sei es ihm unangenehm, ihr direkt in die Augen zu sehen. »Ich will damit sagen - du verhältst dich plötzlich so wie ich mic h normalerweise, und das ist nicht gut, das zerstört das Gleichgewicht, die Harmonie unserer Geschäftsbeziehung, denn es war diese Harmonie, die uns am Leben gehalten hat, die unseren Erfolg bedingte und uns am lieben hielt. Du willst diesen Fall übernehmen, weil du fasziniert bist, weil er deine Phantasie anregt, und weil du Frank helfen möchtest, er ist ja so bemitleidenswert. Wo bleibt deine übliche Wut, deine Empörung? Ich sag' dir, wo sie ist. Du empfindest sie nicht, weil es im Augenblick - jedenfalls keinen bösen Buben gibt, der sie auslösen könnte. Okay, da ist der Bursche, von dem er behauptet, er hätte ihn in jener Nacht gejagt, aber wir wissen nicht mal, ob es ihn wirklich gibt, oder ob er nur Franks Phantasie entsprungen ist. Da es ganz offensichtlich keinen
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