Ort des Grauens
und die wilde, ungestüme Erregung des räuberischen Fuchses – auf diese Art genoß Verbina die ganze Größe eines Lebens, von dem niemand sonst wußte - außer Violet.
Und sie zog die unablässige Faszination des Versunkenseins in die Wildheit der Welt der simplen irdischen Existenz anderer Menschen vor.
Obwohl Verbina immer noch schlief, war ein Teil von ihr doch mit Violet in dem schwebenden Falken. Denn selbst der Schlaf machte eine völlige Lösung ihrer Verbindung zum Geist der anderen nicht nötig. Der unablässige Input von Sinneswahrnehmungen niedrigerer Lebewesen war nicht nur die Grundsubstanz ihrer Leben, sondern auch der Stoff, aus dem ihre Träume waren.
Unter Sturmwolken, die von Minute zu Minute dunkler wurden, schwebte der Falke hoch über den Tälern hinter dem Pollard-Anwesen. Er jagte.
Weit unten, zwischen vertrockneten und zerbrochenen Teilen abgestorbener Unkräuter, zwischen stacheligen Büscheln von Stechginster, verließ eine fette Maus ihr Versteck. Sie huschte über die Talsohle, auf der Hut vor Feinden, die am Boden lauern konnten, aber blind gegen den gefiederten Tod, der sie von weit oben beobachtete.
Der Falke, der sich instinktiv bewußt war, daß die Maus das Schlagen seiner Flügel selbst aus größter Entfernung würde hören und beim geringsten Geräusch im nächsten Schlupfloch würde verschwinden können, legte die Schwingen leise zurück, faltete sie halb gegen seinen Körper und schoß in einem steilen Winkel nach unten, direkt auf das Nagetier zu.
Violet hielt den Atem an, während sie gut 350 Meter hinunterstürzten. Obwohl sie dieses Erlebnis schon unzählige Male geteilt hatte, spürte sie den Fall auf die Erdoberfläche zu und noch tiefer hinunter, in die Felsspalte hinein. Und obwohl sie in Wirklichkeit auf dem Rücken im Bett lag, in Sicherheit war, schien sich ihr Magen umzudrehen, und in ihrer Brust fühlte sie eine Urangst, als sie einen Schrei freudiger Erregung ausstieß.
Verbina, auf dem Bett neben Violet, schrie ebenfalls leise auf.
Die Maus auf dem Boden des Tals erstarrte. Sie spürte das heranstürmende Verderben, war aber nicht sicher, aus welcher Richtung es nahte.
Erst im letzten Augenblick entfaltete der Falke seine Schwingen -sie waren wie Fallschirmseide. Jäh wurde die wahre Beschaffenheit der Luft offenbar und erwies sich als willkommene Bremse. Er ließ sein Hinterteil vorschnellen, streckte die Beine, öffnete die Klauen und packte die Maus, die erst jetzt imstande war, auf das plötzliche Spreizen der Flügel zu reagieren, indem sie zu fliehen versuchte.
Obwohl sie in dem Falken blieb, trat Violet auch in das Empfinden der Maus ein, Sekunden bevor der Räuber sie gepackt hatte. Sie spürte die eisige Befriedigung des Jägers und die heiße Furcht des Opfers. Aus der Perspektive des Falken fühlte sie, wie die Haut der plumpen Maus unter dem scharfen und kräftigen Angriff der Krallen durchbohrt und aufgeschlitzt wurde, und aus der Perspektive der Maus wurde sie von einem stechenden Schmerz erfüllt und war sich des fürchterlichen inneren Zerberstens bewußt.
Der Vogel spähte auf das quiekende Nagetier hinunter, das er fest in seinem Griff hielt, und erzitterte in einem wilden Gefühl der Überlegenheit und der Macht und dem Bewußtsein, daß sein Hunger wieder einmal gestillt werden würde. Er ließ ein triumphierendes Krächzen hören, das in dem engen Tal laut widerhallte.
Die Maus schaute auf in die stählernen, erbarmungslosen Augen und hörte auf, sich wehren zu wollen, wurde ganz schlaff. Im Griff ihres geflügelten Angreifers fühlte sie sich klein und hilflos. Sie befand sich im Bann einer quälenden Furcht, die so intensiv war, daß sie den außergewöhnlichsten sinnlichen Freuden auf eine sonderbare Art ähnelte. Sie sah, wie der grimmige Schnabel niederstieß, war sich bewußt, entzweigerissen zu werden, spürte aber keinen Schmerz mehr, nur noch starre Resignation, dann einen kurzen Moment einer Glückseligkeit, dann nichts mehr, nichts.
Der Falke legte seinen Kopf zurück und ließ blutige Streifen und warme Klümpchen Fleisch in seinen Schlund fallen.
Violet drehte sich auf dem Bett auf die Seite, um ihre Schwester anzuschauen. Durch die Wucht des Erlebnisses mit dem Falken aus dem Schlaf aufgeschreckt, kuschelte sich Verbina in Violets Arme. Nackt, Becken an Becken, Bauch an Bauch, Brust an Brust hielten die Zwillinge einander umschlungen und zitterten unkontrolliert. Violet keuchte an Verbinas zartem Hals. Und dank
Weitere Kostenlose Bücher