Ort des Grauens
meine ich. Mögen Sie Strande?«
»Ja, klar.«
Sie schaute auf, der Stift schwebte über dem Formular. Sie warf ihm ein strahlendes Lächeln zu. Sie hatte volle Lippen. Ihre Zähne waren zahnpastaweiß. »Ich liebe den Strand. Es gibt nichts Schöneres, als einen Bikini anzuziehen und ein bißchen Sonne zu tanken, nein, sich rösten zu lassen von der Sonne, und mir ist es schnurzegal, daß man behauptet, Sonne sei nicht gut für den Teint. Das Leben ist eh kurz, was soll's also? Ist doch schöner, gut auszusehen, solange wir hier sind. Abgesehen davon, in der Sonne zu liegen, macht mich ..., gibt mir das Gefühl ... oh, nicht unbedingt träge ... Nein, es raubt mir keineswegs die Energie. Ganz im Gegenteil, ich fühle mehr Energie denn je, aber es ist eine träge Energie, so ein bißchen wie die im Gang einer Löwin -verstehen Sie? Man spürt ihre Stärke, aber man sieht, es bereitet ihr keine Mühe. In der Sonne fühle ich mich wie eine Löwin.«
Er reagierte nicht.
»Die Sonne ist erotisch«, fuhr sie fort. »Ich glaube, das ist es, was ich sagen wollte. Wenn man lange genug an einem hübschen Strand in der Sonne liegt, schmelzen alle Hemmungen geradezu dahin.«
Er starrte sie nur an.
Nachdem sie die Analyse-Formulare zu Ende ausgefüllt hatte, gab sie ihm die Kopien und befestigte die Originale an den Proben. »Hören Sie mal, Clint«, fragte Lisa, »wir leben doch in einer modernen Welt?«
Er wußte nicht, auf was sie hinauswollte.
»Wir sind doch alle emanzipiert«, fuhr sie fort, »wenn ein Mädchen heutzutage einen Mann also attraktiv findet, dann muß sie heutzutage nicht mehr warten, bis er den ersten Schritt tut.«
Oh, dachte Clint.
Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück, wohl damit er sehen konnte, wie ihre vollen Brüste die Uniformbluse ausfüllten, und lächelte. »Wie war's mit einem Abendessen, Kino?«
»Nein.«
Ihr Lächeln gefror.
»Tut mir leid«, sagte er.
Er faltete die Kopien der Auftragsformulare und steckte sie in dieselbe Innentasche seines Jacketts, aus der er vorher die Geschäftskarte gezogen hatte. Sie starrte ihn wortlos an, und ihm wurde bewußt, daß er ihre Gefühle verletzt hatte. Er suchte nach irgend etwas, womit er sie trösten konnte, und alles, was ihm einfiel, war: »Ich bin schwul.«
Sie blickte ihn ungläubig an und schüttelte den Kopf, als müsse sie sich von einem niederschmetternden Schlag erholen. So wie die Sonne durch die Wolken brach, erhellte dann ein Lächeln ihre düstere Miene. »Ich nehme an, ich bin auf die Verpackung reingefallen.«
»Tut mir leid.«
»He, das ist nicht Ihr Fehler. Wir sind, was wir sind.«
Er ging wieder in den Regen hinaus. Es wurde kälter. Der Himmel erinnerte an die ausgebrannten Ruinen eines Gebäudes, zu dem die Feuerwehr zu spät gekommen war:
nasse Asche, triefendes, verkohltes Balkenwerk.
30
Als die Nacht anbrach an diesem regnerischen Montag, stand Bobby Dakota am Fenster des Krankenhauses. »Kein toller Ausblick, Frank«, sagte er, »es sei denn, man ist wild auf Parkplätze.« Er drehte sich um und inspizierte das kleine, weiß eingerichtete Zimmer. In Krankenhäusern bekam er immer eine Gänsehaut, doch Frank wollte er das lieber nicht wissen lassen. »Die Inneneinrichtung wird gewiß nicht groß rausgebracht in einer der nächsten Ausgaben des Architectural Digest, doch das Zimmer ist recht behaglich. Sie haben Fernsehen, Zeitschriften, und man serviert Ihnen täglich drei Mahlzeiten im Bett. Außerdem ist mir aufgefallen, daß einige der Schwestern, die hier herumhuschen, einfach klasse aussehen. Aber versuchen Sie bitte, die Hände von den Nonnen zu lassen, okay?«
Frank war blasser als zuvor. Die dunklen Ringe um seine Augen hatten sich ausgebreitet wie frische Tintenkleckse auf einem Löschblatt. Er sah nicht nur aus, als gehöre er in ein Krankenhaus, sondern als hätte er schon seit Wochen in einem gelegen. Er betätigte den Schalter, um das Kopfende seines Bettes hochzustellen. »Sind diese vielen Tests wirklich nötig?«
»Ihre Amnesie könnte eine körperliche Ursache haben«, erklärte Julie. »Sie haben doch gehört, was Doktor Freeborn gesagt hat. Sie suchen nach zerebralen Abzessen, Neoplasmen, Zysten, Blutgerinnseln, allen möglichen Dingen.«
»Ich bin mir wegen dieses Freeborn nicht sicher«, sagte Frank. Es klang besorgt.
Sanford Freeborn war Bobbys und Julies Freund und ihr Arzt. Vor ein paar Jahren hatten sie ihm geholfen, seinen Bruder aus einem ziemlichen Schlamassel
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