orwell,_george_-_tage_in_burma
Abscheu. Sie hatte zwar kein Wort von dem verstanden, was Ma Hla May sagte, doch die Bedeutung der Szene war völlig klar. Der Gedanke, daß er der Liebhaber von dieser irren Kreatur mit grauem Gesicht gewesen war, ließ sie in ihren Knochen erbeben. Aber schlimmer noch, schlimmer als alles andere war seine Häßlichkeit in diesem Augenblick. Sein Gesicht entsetzte sie, es war so gräßlich, starr und alt. Es war wie ein Totenschädel. Nur sein Muttermal schien darin noch am Leben. Sie haßte ihn jetzt wegen seines Muttermales. Sie hatte bis zu diesem Augenblick nicht gewußt, wie entehrend es war, wie unverzeihlich.
Wie das Krokodil hatte U Po Kyin am schwächsten Punkt zugeschlagen. Selbstverständlich war diese Szene U Po Kyins Werk. Er hatte, wie üblich, seine Chance gesehen und Ma Hla May mit erheblicher Sorgfalt abgerichtet. Der Geistliche schloß seine Predigt fast unverzüglich. Sobald sie zu Ende war, eilte Flory hinaus, ohne einen der andern anzuschauen. Es wurde langsam dunkel, Gott sei Dank. Fünfzig Meter von der Kirche entfernt machte er halt und beobachtete, wie die anderen in Paaren sich zum Club begaben. Es schien ihm, daß sie sich beeilten. Ja, natürlich! Jetzt hatten sie heute abend im Club etwas zu besprechen! Flo wälzte sich bauchaufwärts gegen seine Knöchel, zu einem Spiel einladend. »Scher dich weg, du verdammtes Vieh!« sagte er, und trat sie. Elizabeth war bei der Kirchentür stehengeblieben. Mr. Macgregor, welch glücklicher Zufall, schien sie dem Geistlichen vorzustellen. Sogleich gingen die beiden Männer in Richtung von Mr. Macgregors Haus weiter, wo der Geistliche die Nacht verbringen sollte, und Elizabeth folgte den anderen, dreiß ig Meter hinter ihnen. Flory lief ihr nach und holte sie kurz vor dem Clubtor ein. »Elizabeth!«
Sie sah sich um, erblickte ihn, erbleichte, und wäre ohne ein Wort weitergeeilt. Aber seine Besorgnis war zu groß, und er packte sie am Handgelenk.
»Elizabeth! Ich muß - ich muß mit Ihnen reden!« »Bitte lassen Sie mich los!«
Sie begannen zu ringen und hörten dann abrupt auf. Zwei der Karenen, die aus der Kirche herausgekommen waren, standen fünfzig Meter entfernt und starrten sie durch das Halbdunkel mit großem I nteresse an. Flory begann mit leiserer Stimme:
»Elizabeth, ich weiß, ich habe kein Recht, Sie so aufzuhalten. Aber ich muß mit Ihnen reden, ich muß! Bitte hören Sie sich an, was ich zu sagen habe. Bitte rennen Sie nicht vor mir davon!«
»Was tun Sie? Warum halten Sie meinen Arm fest? Lassen Sie mich sofort los!«
»Ich lasse Sie gleich los - da, sehen Sie! Aber hören Sie mir doch zu, bitte! Beantworten Sie mir diese eine Frage. Nach dem, was geschehen ist, können Sie mir je verzeihen?«
»Verzeihen? Was soll das heißen, Ihnen verzeihen?« »Ich weiß, daß ich in Ungnade gefallen bin. Es war das
Schändlichste, was passieren konnte! Bloß, in einem gewissen Sinne war es nicht meine Schuld. Sie werden’s sehen, wenn Sie ruhiger geworden sind. Glauben Sie - nicht jetzt, es war zu schlimm, aber später - glauben Sie, daß Sie es vergessen können?«
»Ich weiß wirklich nicht, wovon sie sprechen. Vergessen? Was hat das mit mir zu tun? Ich fand es sehr widerlich, aber es ist nicht meine Sache. Ich kann mir nicht vorstellen, warum Sie mich überhaupt so ausfragen.«
Er verzweifelte fast dabei. Ihr Ton und sogar ihre Worte waren genau dieselben, die sie in jenem früheren Streit benutzt hatte. Es war wieder der gleiche Zug. Statt ihn bis zum Ende anzuhören, würde sie ihm ausweichen und sich vor ihm drücken - ihn kurz abfertigen, indem sie so tat, als hätte er keinen Anspruch auf sie.
»Elizabeth! Bitte antworten Sie mir. Bitte seien Sie aufrichtig zu mir! Dieses Mal ist’s ernst. Ich erwarte nicht, daß Sie mich mit einem Male zurücknehmen. Das könnten Sie nicht, da ich so öffentlich in Ungnade gefallen bin. Aber schließlich haben Sie mir praktisch versprochen, mich zu heiraten - «
»Was! Versprochen, Sie zu heiraten? Wann habe ich versprochen, Sie zu heiraten?«
»Nicht in Worten, ich weiß. Aber es war zwischen uns abgemacht.«
»Nichts dergleichen war zwischen uns abgemacht! Ich finde, Sie benehmen sich äußerst widerlich. Ich gehe sofort zum Club rüber. Guten Abend!«
»Elizabeth! Elizabeth! Hören Sie. Es ist nicht fair, mich zu verdammen, ohne mic h angehört zu haben. Sie wußten vorher schon, was ich getan hatte, und Sie wußten, daß ich ein anderes Leben geführt hatte, seit ich Ihnen begegnete.
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