orwell,_george_-_tage_in_burma
ich kann mir nicht vorstellen, daß er mir viel schaden kann.«
»Mindestens wird er’s versuchen. Ich kenne ihn. Er wird es darauf anlegen, mich von meinen Freunden zu trennen. Möglicherweise wird er sogar wagen, seine Verleumdungen auch auf Sie auszudehnen.«
»Auf mich? Großer Gott! Niemand würde etwas gegen mich glauben. Civis Romanus sum. Ich bin Engländer - über jeden Verdacht erhaben.«
»Nichtsdestoweniger, mein Freund, hüten Sie sich vor seinen Anschwärzungen. Unterschätzen Sie ihn nicht. Er wird wissen, wie er Sie treffen kann. Er ist ein Krokodil. Und wie das Krokodil« - der Doktor legte Daumen und Zeigefinger e indrucksvoll zusammen; seine Bilder kamen ihm manchmal durcheinander - , »wie das Krokodil schlägt er immer an der schwächsten Stelle zu!«
»Schlagen Krokodile wirklich immer an der schwächsten Stelle zu, Doktor?«
Beide Männer lachten. Sie kannten sich gut genug, um hin und wieder über das possierliche Englisch des Doktors zu lachen. Vielleicht war der Doktor im Grunde ein bißchen enttäuscht darüber, daß Flory nicht versprochen hatte, ihn für den Club vorzuschlagen, aber er wäre lieber gestorben, als es zu sagen. Und Flory war froh, das Thema fallenzulassen, ein unbequemes Thema, das, so wünschte er, nie hätte zur Sprache kommen sollen.
»Nun ja, ich muß mich jetzt auf den Weg machen, Doktor. Leben Sie wohl, falls ich Sie jetzt nicht wiedersehe. Ich hoffe, es wird alles gutgehen bei der Generalversammlung. Macgregor ist kein schlechter alter Kerl. Ich könnte mir denken, daß er darauf bestehen wird, daß Sie gewählt werden.«
»Hoffen wir es, mein Freund. Damit kann ich es mit hundert U Po Kyins aufnehmen. Mit tause nd! Leben Sie wohl, mein Freund, leben Sie wohl.«
Dann rückte Flory seinen Filzhut auf dem Kopf zurecht und ging über den glühend heißen Platz nach Hause zu seinem Frühstück, auf das er nach dem Trinken, Rauchen und Sprechen des langen Vormittags keinen Ap petit mehr hatte. IV
Flory lag, nackt bis auf schwarze Shan- Hosen, schlafend auf seinem schweißfeuchten Bett. Er hatte den ganzen Tag herumgetrödelt. Er verbrachte annähernd drei Wochen jedes Monats im Lager und kam immer nur für ein paar Tage nach Kyauktada, hauptsächlich um zu faulenzen, denn er hatte sehr wenig Büroarbeit zu tun.
Das Schlafzimmer war ein großer quadratischer Raum mit weiß verputzten Wänden, offenen Türöffnungen und keiner Decke, sondern nur Dachsparren, in denen Spatzen nisteten. Es hatte keine Möbel außer einem großen Himmelbett mit dem wie ein Baldachin aufgerollten Moskitonetz, einem Korbtisch und Sessel und einem kleinen Spiegel; außerdem ein paar rohe Bücherregale, die mehrere hundert Bücher enthielten, alle durch viele Regenzeiten v erschimmelt und von Silberfischchen durchlöchert. Ein Tuktoo saß an der Wand, flach und regungslos wie ein heraldischer Drache. Hinter der Dachtraufe der Veranda strömte das Licht herab wie glitzerndes, weißes Öl. Ein paar Tauben in einem Bambusdickicht ga ben ununterbrochen ein eintöniges Gemurmel von sich, das merkwürdig gut zu der Hitze paßte - ein schläfriger Ton, aber eher einschläfernd wie eine Narkose, nicht wie ein Wiegenlied.
Unten in Mr. Macgregors Bungalow, zweihundert Meter entfernt, hämmerte ein Durwan wie eine lebende Uhr viermal auf ein Stück Eisenschiene. Ko S’la, Florys Diener, erwachte von dem Ton, ging in das Küchenhaus, blies die Glut des Holzfeuers an und setzte den Kessel für den Tee auf. Dann legte er seinen rosa Gaungbaung und den Musselin- Ingyi an und brachte seinem Herrn das Teetablett ans Bett.
Ko S’la (eigentlich hieß er Maung San Hla, Ko S’la war eine Abkürzung) war ein kleiner, breitschultriger, bäurisch aussehender Burmane mit sehr dunkler Haut und gequältem Gesichtsausdruck. Er trug einen schwarzen Schnurrbart, der sich um seinen Mund nach unten krümmte, aber sonst hatte er wie die meisten Burmanen keinen Ban. Er war Florys Diener seit dessen erstem Tag in Burma. Die beiden Männer waren fast bis auf den Tag gleichaltrig. Sie hatten einander schon als Jungen gekannt, waren Seite an Seite auf Schnepfen- und Entenjagd gegangen, hatten zusammen auf dem Hochsitz gesessen und auf Tiger gewartet, die nie kamen, hatten die Unbequemlichkeiten von tausend Lagern und Märschen geteilt; und Ko S’la hatte für Flory den Kuppler gespielt und für ihn bei den chinesischen Geldverleihern Geld geliehen, hatte ihn zu Bett gebracht, wenn er betrunken war, ihn bei
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