orwell,_george_-_tage_in_burma
Sache ist die, mein Freund, daß da eine höchst unerfreuliche Angelegenheit im Gange ist. Sie werden vielleicht lachen es klingt nach nichts - , aber ich bin ernst lich in Schwierigkeiten. Oder vielmehr, ich bin in Gefahr, in Schwierigkeiten zu kommen. Es ist eine Untergrundsache. Ihr Europäer werdet davon nie direkt hören. Da drüben« - er zeigte mit der Hand auf den Basar - »gibt es unaufhörlich Verschwörungen und I ntrigen, von denen Sie nichts hören. Aber für uns bedeuten sie viel.«
»Was ist denn geschehen?«
»Es ist dies. Da wird eine Intrige gegen mich zusammengebraut. Eine sehr ernsthafte Intrige mit dem Ziel, meinen Charakter anzuschwärzen und meine offizielle La ufbahn zu ruinieren. Sie als Engländer werden das alles nicht verstehen. Ich habe mir die Feindschaft eines Mannes zugezogen, den Sie wahrscheinlich nicht kennen, U Po Kyin, der Distriktsrichter. Er ist ein höchst gefährlicher Mann. Der Schaden, den er mir antun kann, ist unberechenbar. «
»U Po Kyin? Welcher ist das?«
»Der große, dicke Mann mit vielen Zähnen. Sein Haus ist da unten an der Straße, hundert Meter von hier.«
»Oh, dieser fette Schurke? Den kenne ich gut.« »Nein, nein, mein Freund, nein, nein!« rief der Doktor ganz
eifrig; »es kann nicht sein, daß Sie ihn kennen. Nur ein Orientale kann ihn kennen. Sie, ein englischer Gentleman, können sich nicht zur Tiefe eines U Po Kyin herablassen. Er ist mehr als ein Schurke, er ist - was soll ich sagen? Mir fe hlen die Worte. Er erinnert mich an ein Krokodil. Er hat die Verschlagenheit eines Krokodils, die Grausamkeit, die Bestialität. Wenn Sie den Ruf dieses Mannes kennten! Seine Ungeheuerlichkeiten! Die Erpressungen, die Bestechungen! Die Mädchen, die er geschändet, vor den Augen ihrer Mütter vergewaltigt hat! Ach, ein englischer Gentleman kann sich so einen Charakter nicht vorstellen. Und das ist der Mann, der geschworen hat, mich zu erledigen.«
»Ich habe aus verschiedenen Quellen eine ganze Menge über U Po Kyin gehört«, sagte Flory. »Er scheint ein Musterbeispiel eines burmanischen Richters zu sein. Ein Burmane hat mir erzählt, daß während des Krieges U Po Kyin dafür angestellt war, Rekruten auszuheben, und er habe ein ganzes Bataillon aus seinen unehelichen Söhnen zusammengestellt. Ist das wahr?«
»Das kann kaum stimmen«, sagte der Doktor, »denn sie wären nicht alt genug gewesen. Aber an seiner Niedertracht ist nicht zu zweifeln. Und nun ist er entschlossen, mich zu erledigen. Vor allem haßt er mich, weil ich zuviel von ihm weiß; und außerdem ist er der Feind jedes einigermaßen ehrlichen Menschen. Er wird mit Verleumdungen gegen mich vorgehen - das ist die Praxis solcher Leute. Er wird Berichte über mich verbreiten - Berichte ganz entsetzlichen und unwahren Inha lts. Er fängt schon damit an.«
»Aber würde irgend jemand einem solchen Kerl etwas gegen Sie glauben? Er ist nur ein niederträchtiger Richter. Sie sind ein hoher Beamter.«
»Ah, Mr. Flory, Sie verstehen nichts von der orientalischen Hinterlist. U Po Kyin hat schon höhere Beamte als mich ruiniert. Er wird Wege finden, daß man ihm glaubt. Und darum - ach, es ist eine schwierige Angelegenheit!«
Der Doktor ging ein paar Schritte auf der Veranda auf und ab, und dabei putzte er seine Brille mit dem Taschentuch. Es war klar, daß es noch etwas gab, das ihm sein Taktgefühl zu sagen verbot. Einen Augenblick machte er einen so besorgten Eindruck, daß Flory ihn am liebsten gefragt hätte, ob er ihm nicht irgendwie helfen könne, aber er tat es nicht, denn er wußte, wie nutzlos es war, sich in Streitigkeiten zwischen Orientalen einzumischen. Kein Europäer kann diesen Streitigkeiten auf den Grund gehen; immer ist etwas dabei dem europäischen Denken unzugänglich, eine Intrige innerhalb der Intrige. Außerdem gehört es zu den Zehn Geboten des Pukka Sahib, sich aus ›Eingeborenen‹- Streitigkeiten herauszuhalten. Er sagte zweifelnd:
»Was ist eine schwierige Angelegenheit?«
»Es ist, wenn ich nur - ach, mein Freund, Sie werden mich auslachen, fürchte ich. Aber es ist so: wenn ich nur ein Mitglied Ihres Europäischen Clubs wäre! Wenn! Wie anders wäre meine Position!«
»Der Club? Wieso? Wie würde Ihnen das helfen?« »Mein Freund, in solchen Sachen ist Prestige alles. Nicht daß
U Po Kyin mich offen angreifen wird; das würde er nie wagen; er wird mich beleidigen und verleumden. Und ob man ihm glaubt oder nicht, hängt von meinem Ansehen bei den Europäern ab. So
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