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Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Schuld –, war Crake immer noch sein Freund.

    Fünf Stunden später schlenderten sie durch die Plebs im Norden von New-New York. Sie hatten nur zwei Stunden gebraucht, um dorthin zu kommen – Hochgeschwindigkeitszug zum nächstgelegenen Komplex, dann einen offiziellen Corps-Wagen mit bewaffnetem Fahrer, gestellt von irgendwem, der Crake zu Diensten stand. Der Wagen hatte sie ins Zentrum dessen gebracht, was Crake die Action nannte, und sie dort abgesetzt. Sie würden aber beschattet werden, sagte Crake. Sie würden geschützt. Damit nichts passierte.
    Bevor sie losgefahren waren, hatte Crake Jimmy eine Nadel in den Arm gesteckt – ein kurzzeitig wirksamer Allzweckimpfstoff, den er selber zusammengebraut hatte. Die Plebs, sagte er, waren eine riesige Petrischale: Hier wurde jede Menge Schmadder und ansteckendes Plasma verbreitet. Wenn man mit dem ganzen Zeug um einen herum aufwuchs, war man mehr oder weniger immun dagegen, wenn sich nicht gerade eine neue Bioform austobte; aber wenn man von den Komplexen kam und seinen Fuß in die Plebs setzte, wurde man zum Festschmaus.
    Es war, als hätte man ein großes Schild an der Stirn mit den Worten: Friss mich.
    Crake hatte auch Atemmasken für beide, das neueste Modell, nicht nur um Mikroben auszufiltern, sondern auch um Teilchen auszusondern.
    Die Luft war schlechter in Plebsland, sagte er. Der Wind brachte mehr Müll mit sich, es gab weniger Wirbelfiltertürme in der Gegend.
    Jimmy war noch nie in Plebsland gewesen, er hatte nur mal über die Mauer geschaut. Es war aufregend für ihn, endlich mal dort zu sein, obwohl er nicht vorbereitet war auf so viele Leute so dicht beisammen, die gingen, sprachen, irgendwo hinliefen. Leute auf den Bürgersteig spucken zu sehen war ein Anblick, den er persönlich gerne ausgelassen hätte. Reiche Plebs in Luxuswagen, arme auf Solarrollern, Nutten in fluoreszierendem Elastan oder in ganz kurzen Hosen oder – sportlicher, weil es ihre festen Schenkel zeigte – auf Motorrollern, mit denen sie sich durch den Verkehr schlängelten. Alle Hautfarben, alle Größen.
    Allerdings nicht zu jedem Preis, sagte Crake: Hier seien sie im unteren Bereich. Also könne Jimmy hier einen Schaufensterbummel machen, solle aber nichts kaufen. Das könne er sich für später aufheben.

    Die Plebsland-Bewohner sahen nicht aus wie die geistig Zurückgebliebenen, die sich die Komplex-Bewohner gerne vorstellten, jedenfalls die meisten nicht. Nach einer Weile begann Jimmy, sich zu entspannen, das Erlebnis zu genießen. Es gab so viel zu sehen – so viel wurde verhökert, so viel angeboten. Neonschriftzüge, Werbeplakate, Anzeigen überall. Und es gab richtige Penner, richtige Bettlerinnen, genau wie in den alten DVD-Musicals: Jimmy erwartete ständig, dass sie die schiefen Absätze ihrer Stiefel in die Luft warfen und lossangen.
    Asymmetrien, Unförmigkeiten: Die Gesichter waren himmelweit entfernt von der Regelmäßigkeit der Komplexe. Es gab sogar schlechte Zähne. Er starrte alles an.
    »Pass auf dein Portemonnaie auf«, sagte Crake. »Nicht, dass du Bargeld brauchtest.«
    »Warum nicht?«
    »Ich lade dich ein«, sagte Crake.
    »Das kann ich nicht annehmen.«
    »Du bist nächstes Mal dran.«
    »Na, meinetwegen«, sagte Jimmy.
    »Da sind wir – das hier ist die so genannte Traumstraße.«
    Die Läden hier waren im mittleren bis gehobenen Segment, die Auslagen üppig. Zum in die Luft Gen?, las Jimmy. Versuchen Sie’s mit SnipNFix! Erbkrankheiten hier entfernen lassen. Warum klein sein?
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    »Hier wird unser Zeug zu Gold«, sagte Crake.
    »Unser Zeug?«
    »Was wir bei Rejoov produzieren. Wir und die anderen körperorientierten Komplexe.«:
    »Funktioniert das denn alles?« Jimmy war beeindruckt, nicht so sehr von den Versprechungen wie von den Werbesprüchen: Hirne wie das Seine waren hier am Werk gewesen. Seine flaue Stimmung vom Morgen war verschwunden, er fühlte sich ziemlich munter. Es wirkte so viel auf ihn ein, so viel Information; es beanspruchte seinen gesamten Hirnkasten.
    »Eine ganze Menge funktioniert«, sagte Crake. »Natürlich ist noch nicht alles perfekt. Aber die Konkurrenz ist mörderisch, insbesondere was die Russen machen und die Japaner und die Deutschen natürlich.

    Und die Schweden. Wir halten allerdings mit, wir haben den Ruf, verlässliche Produkte herzustellen. Die Leute kommen aus der ganzen

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