Oryx und Crake
Säugetiere abgesehen vom Menschen.
Genauer gesagt würde diesen Menschen nie etwas vererbt, es würde keine Familienstammbäume geben, keine Ehen und keine Scheidungen.
Sie seien vollkommen an ihren Lebensraum angepasst, so dass sie nie Häuser oder Werkzeuge oder Waffen herstellen müssten oder, was das betraf, Kleidung. Sie würden kein Bedürfnis haben, gefährliche Symbolismen zu erfinden, wie etwa Königreiche, Ikonen, Götter oder Geld. Das Beste war, sie verwerteten ihre eigenen Exkremente wieder.
Mit Hilfe einer genialen Kombination, unter Verwendung genetischen Materials von…
»Entschuldige mal«, sagte Jimmy. »Aber eine Menge von diesem Zeug ist nicht gerade das, was Durchschnittseltern von einem Baby erwarten. Hast du dich nicht ein bisschen hinreißen lassen?«
»Ich hab dir doch gesagt«, sagte Crake geduldig. »Dies hier sind die Muster. Sie stellen die Kunst des Möglichen dar. Wir können die einzelnen Merkmale für potenzielle Kunden in einer Liste aufführen, dann können wir sie auf die Bedürfnisse zuschneiden. Nicht jedermann wird allen Pipapo wollen, das ist uns klar. Allerdings würdest du dich wundern, wie viele Eltern gern ein hübsches kluges Baby hätten, das nur Gras isst. Die Veganer sind an diesem kleinen Posten sehr interessiert.
Wir haben unsere Marktforschung gemacht.«
Na toll, dachte Jimmy. Dein Baby kann auch als Rasenmäher eingesetzt werden.
»Können sie sprechen?«, fragte er.
»Natürlich können sie sprechen«, sagte Crake. »Wenn es etwas gibt, was sie sagen wollen.«
»Machen sie Witze?«
»Nicht in dem Sinne«, sagte Crake. »Für Witze braucht man einen gewissen Biss, eine gewisse Bosheit. Wir müssten viel herumprobieren und sind immer noch dabei zu testen, aber ich glaub, es ist uns gelungen, Witze abzuschaffen«. Er hob das Glas, grinste Jimmy an.
»Bin froh, dass du da bist, Korknuss«, sagte er. »Mir hat jemand gefehlt, mit dem ich reden kann.«
Jimmy bekam eine eigene Suite in der Paradice-Kuppel. Seine Habseligkeiten waren noch vor ihm da, alle genau dort untergebracht, wo sie sein sollten – Unterwäsche im Unterwäschefach, Hemden sauber gestapelt, die elektrische Zahnbürste ordentlich eingesteckt und aufgeladen –, mit dem Unterschied, dass er mehr Habseligkeiten vorfand, als er besessen hatte, soweit er sich erinnerte. Mehr Hemden, mehr Unterwäsche, mehr elektrische Zahnbürsten. Die Klimaanlage war auf die Temperatur eingestellt, die er mochte, und ein leckerer Imbiss (Melone, Prosciutto, ein französischer Brie mit echt aussehendem Etikett) war auf dem Esszimmertisch angerichtet. Auf dem Esszimmertisch! Er hatte noch nie einen Esszimmertisch gehabt.
Crake, verliebt
Die Blitze zischen, der Donner kracht, der Regen kommt so massiv herunter, dass die Luft weiß wird, weiß um ihn herum, ein fester Nebel; es wirkt wie Glas in Bewegung. Schneemensch – Schafskopf, Hanswurst, Hasenfuß – kauert auf dem Wall, die Arme über dem Kopf, von oben bombardiert wie ein Opfer allgemeiner Verachtung. Er ist menschenähnlich, er ist Hominid, er ist eine Abweichung, er ist abscheulich; er wäre legendär, wenn es noch jemanden gäbe, der Legenden weitererzählen könnte.
Wenn er nur einen Zuhörer außer sich selbst hätte, was für ein Garn könnte er spinnen, welches Gejammer könnte er jammern. Die Klage des Liebenden an seine Geliebte oder irgendetwas in der Richtung.
Einiges zur Auswahl in dieser Hinsicht.
Denn jetzt ist er bei der Crux in seinem Kopf angelangt, an der Stelle in diesem tragischen Stück, wo es heißen müsste: Auftritt Oryx. Der verhängnisvolle Moment. Aber welcher verhängnisvolle Moment?
Auftritt von Oryx als ein junges Mädchen auf einer Kinderporno-Website, mit Blumen im Haar, Schlagsahne am Kinn; oder Auftritt von Oryx in der Nachricht über junge Mädchen, die aus den Garagen Perverser befreit wurden; oder Auftritt von Oryx, splitternackt und pädagogisch in Crakes Allerheiligstem; oder Auftritt von Oryx mit Handtuch um den Kopf wie sie aus der Dusche kommt; oder Auftritt von Oryx in einem zinngrauen Seidenanzug und dezenten halbhohen Absätzen, mit Aktenkoffer in der Hand, der Inbegriff einer hochqualifizierten Vertriebskraft für den Weltmarkt? Welche von diesen wird es sein, und wie kann er sich je sicher sein, dass es einen Faden gibt, der die Erste mit der Letzten verbindet? Gab es nur eine Oryx oder gab es Tausende?
Aber jede von ihnen wäre mir recht, denkt Schneemensch, während der Regen ihm übers
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