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Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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stattet er Crake mit Hörnern und feurigen Schwingen aus. Und einem Schweif als Dreingabe.

Flasche
    Als Crakes Kinder abgezogen sind und ihre Fackeln mitgenommen haben, klettert Schneemensch auf seinen Baum und versucht zu schlafen. Überall ringsum sind Geräusche: das Schmatzen der Wellen, Insektengezirpe und –geschwirre, Vogelgezwitscher, Amphibiengequake, raschelndes Laub. Seine Ohren trügen ihn: Er bildet sich ein, eine Jazztrompete zu hören und darunter ein rhythmisches Trommeln, gedämpft, wie aus einem fernen Nachtclub. Von irgendwoher ein Stück weiter die Küste entlang ertönt ein dröhnender, bellender Laut: Was ist das jetzt? Kein Tier fällt ihm ein, das einen solchen Laut von sich gibt. Vielleicht ist es ein Alligator, der aus einer nicht mehr vorhandenen kubanischen Handtaschenfarm entkommen ist und jetzt die Küste aufwärts nach Norden wandert. Das wäre eine schlechte Nachricht für die Kinder, die im Meer schwimmen. Er lauscht aufmerksam, aber das Geräusch wiederholt sich nicht.
    Vom Dorf her kommt ein dumpfes, friedliches Gemurmel: menschliche Stimmen. Sofern von menschlich die Rede sein kann.
    Wenn sie nur nicht zu singen anfangen. Ihr Gesang ist anders als alles, was er in seinem früheren Leben je gehört hat: jenseits – oder unterhalb
    – des menschlichen Niveaus. Wie singende Kristalle; aber das trifft es auch nicht. Eher wie sich entrollende Farne – uralt, aus Karbonzeiten, und zugleich neugeboren, wohlriechend, hellgrün. Es drückt ihn zu Boden, drängt ihm zu viele unerwünschte Erinnerungen auf. Er fühlt sich ausgegrenzt, wie von einer Party ausgeschlossen, zu der er nie eingeladen sein wird. Er müsste nur in den Schein des Feuers treten, und sogleich würde sich ihm ein Kreis schlagartig leer gewordener Gesichter zuwenden. Schweigen würde sich ausbreiten, wie in den Tragödien aus alter Zeit, wenn der dem Untergang geweihte Protagonist die Bühne betritt, eingehüllt in den Mantel ansteckender Hiobsbotschaften. Auf einer nicht bewussten Ebene erscheint Schneemensch diesen Leuten wahrscheinlich als Erinnerung, und nicht als angenehme: Er ist, was sie vielleicht selbst einmal waren. Ich bin eure Vergangenheit, könnte er anstimmen. Ich bin euer Vorfahr, gekommen aus dem Land der Toten.

    Jetzt habe ich mich verirrt und kann nicht mehr zurück, bin hier gestrandet und ganz allein. Lasst mich ein!
    O Schneemensch, wie können wir dir helfen? Das milde Lächeln, die höfliche Überraschung, der ratlose gute Wille.
    Vergesst es, würde er sagen. Sie können ihm nicht helfen, nicht wirklich.

    Es weht eine kalte Brise; das Laken ist feucht; er zittert. Gäbe es nur einen Thermostat hier. Vielleicht lässt sich eine Möglichkeit finden, ein kleines Feuer anzuzünden, hier oben auf seinem Baum.
    »Schlaf jetzt«, befiehlt er sich. Ohne Erfolg. Nach längerem Wenden, Wälzen und Kratzen klettert er wieder hinunter, um die Whisky-Flasche aus seinem Versteck zu holen. Die Sterne scheinen hell genug, um sich einigermaßen zurechtzufinden. Er hat diesen Ausflug schon viele Male unternommen: Während der ersten eineinhalb Monate, nachdem er einigermaßen sicher war, dass er ohne Gefahr in seiner Wachsamkeit nachlassen konnte, hat er sich jeden Abend um den Verstand getrunken.
    Das war weder klug noch vernünftig, natürlich nicht, aber auf Klugheit und Vernunft kommt es jetzt sowieso nicht mehr an.
    Also war allabendlich Party gewesen, eine Ein-Mann-Party. Das heißt, wenn er die nötigen Zutaten dafür hatte, wenn er in den verlassenen Plebsland-Gebäuden der Umgebung wieder einmal einen Alkoholvorrat aufgestöbert hatte. Zuerst durchkämmte er die nächstgelegenen Bars, dann die Restaurants, dann die Häuser und Wohnwagen und schreckte auch nicht vor Hustensaft, Rasierwasser, medizinischem Alkohol zurück; hinter dem Baum ist ein beeindruckendes Lager leerer Flaschen entstanden. Hin und wieder stieß er auf einen Vorrat Hasch und konsumierte auch das, obwohl das Zeug oft schimmlig war; trotzdem konnte man meist ein bisschen high davon werden. Manchmal fand er auch Pillen. Kein Koks, kein Crack, kein Heroin – das war sicher noch verbraucht worden, in einem letzten Ausbruch von carpe diem in Nasen und Adern gefüllt; unter solchen Umständen tat man alles für einen kleinen Urlaub von der Wirklichkeit. Überall waren leere BlyssPluss-Behälter gewesen, alles, was man für eine Nonstop-Orgie brauchte. Die Rauschsüchtigen hatten es nicht geschafft, allen Alkohol auszuleeren, obwohl er

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